Ich in Gelb Roman Olga Flor
Material type: TextLanguage: German Publisher: Salzburg Wien Jung und Jung 2015Description: 211 S. Ill. 20 cmContent type:- Text
- ohne Hilfsmittel zu benutzen
- Band
- 9783990270677
- 830 B 23sdnb
Item type | Current library | Collection | Call number | Status | Date due | Barcode | |
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Bücher | Schulbibliothek BSZ Mistelbach ZSB | Belletristik | DR FLO (Browse shelf(Opens below)) | Available | 10125670 |
Quelle: www.rezensionen.at - Ulrike Matzer
Mode- und medienreflexiv
Olga Flors intrikater Internet-Roman "Ich in Gelb"
Von ihrem Kinderzimmer aus begann die erst elfjährige Tavi Gavinson einen Modeblog zu verfassen, der ihr in der Szene rasch Kultstatus einbrachte. Bald wurde dieses merkwürdig altkluge Mädchen zu Events in aller Welt geladen und saß auch bei der New York Fashion Week in prominenter Reihe. Ob die meist mit übergroßen Brillen, bunten Hängekleidern, grau gefärbten Haaren und Oma-Handtasche auftretende Tavi sich einfach als apartes Modepüppchen stilisierte oder gerade darüber Kritik am System der Mode und dessen Gewese übte, wurde nie ganz klar. Jedenfalls stellte dieses Wunderkind Bezüge her, wie sie vor ihm niemand gesehen hatte. Und wirklich bemerkenswert für das Modebusiness ist, dass das Mädchen über seinen Intellekt und nicht über seinen lolitahaften Körper reüssierte.
Olga Flor ließ sich für ihren jüngsten Roman sichtlich von diesem Teenie-Star und seinen Kommentaren inspirieren. Auch ihre unter dem Pseudonym "nextGirl" bloggende Protagonistin ist noch Schülerin, wenn auch bereits dreizehn Jahre. Der Lebensauffassung vieler Digital Natives entsprechend berichtet sie "stets in Echtzeit aus der Mitte des Geschehens". Wobei das mit der Zeit so eine Sache ist. Von der Logik der Mode her betrachtet ist das Gegenwärtige immer schon vergangen; Kollektionen werden als künftige entworfen, Shootings und Shows finden im Jetzt als Preview für die nächste, wenn nicht übernächste Saison statt. Charakteristisch für Blogeinträge dagegen ist, dass sie zeitlich rückwärts zu lesen sind, stehen aktuelle Meldungen samt eventueller Kommentare in der Chronologie jeweils ganz oben. Diese gegenläufigen Zeitkonzepte eignet sich Flor als gestaltende Faktoren an, ebenso wie das Format des Modeblogs an sich. Erst nach einer Weile bemerkt man indes ein zusätzliches Moment, das nicht wenig irritiert: Wird die Geschichte doch in die Zukunft entwickelt, während die Datierung der Einträge eine sukzessive Rückschau nahelegt. Beginnend Mitte Dezember wird so in (halb)wöchentlichem Rhythmus ein Jahr zurückgedreht. Die entgegengesetzten Logiken von kalendarischer und narrativer Zeitenfolge verschlingen sich zu einer paradoxen Form von Timeline, die man sich vielleicht in der Art einer Doppelhelix imaginieren mag.
Doch nicht nur die Textsorte und die visuelle Form des kommentierten Online-Tagebuchs dienen der Autorin als poetisches Reservoir. Wenn es in der literarisierten Version an einer Stelle lautet: "Das ist kein Blog", ist das ein Hinweis auf René Magritte und seinen "Verrat der Bilder". Denn selbstredend wird auch mit verschiedensten Fotomotiven und deren kommunikativem wie assoziativem Potenzial gespielt. Das intrikate Verhältnis von Text und Bild hebt schon am Schutzumschlag des Buches an, wo eine auf cyanfarbenem Grund freigestellte grellrosa Qualle in Hochglanzoptik mit "Ich in Gelb" betitelt ist. In Folge akzentuieren vom nextGirl aufgenommene Fotografien oder als Commons angeeignete Motive die schriftlichen Passagen - auf eine Art, die subtile Formen von Bildwitz und weitere Verunsicherungen generiert.
Auf der Handlungsebene nämlich wird die Geschichte von einem Modeschöpfer und -fotografen vorangetrieben, der auf der Suche nach spektakulären Locations und Formen von Inszenierung ist. Neben der jungen Bloggerin, die im Geschehen primär die Rolle der oberschlauen Beobachterin einnimmt, agiert vor allem das Model Bianca (respektive deren Netzidentität) als prädestiniertes Objekt für eines dieser Events. Bianca, die ihre Position im Modezirkus ähnlich scharfsichtig reflektiert, scheint über irgendein Alleinstellungsmerkmal zu verfügen. Bald ist von einer Beule die Rede, bald von Auswüchsen wie Schneckenfühlern. Nicht nur Maria Lassnigs Körperbewusstseinsbilder kommen einem im Lauf der Lektüre in den Sinn; auch die künstlerischen Aktionen von Orlan und Stelarc, die in den Neunzigern ihre Körper mit chirurgisch implantierten Hörnern bzw. einer dritten Hand traktierten. Das Irritierende, ja Groteske scheint gerade an der Schnittstelle von Kunst und Mode ein Garant für Aufmerksamkeit zu sein. Matthew Barneys Cremaster-Filme bezeugen dies ebenso wie die One Minute Sculptures von Erwin Wurm. Ein zwecks abstruser Wurmkur (!) implantierter wildwüchsiger Parasit lässt schließlich auch Biancas Körper aus dem Ruder laufen - was ihr im Business gleichfalls nur von Vorteil ist. Das mysteriöse Menschtierhybrid, in welches sie sich zusehends verwandelt, mag einen auch an das titelgebende ungreifbare Wesen aus Lewis Carrolls Nonsensballade The Hunting of the Snark erinnern.
Noch offensichtlicher jedoch stand Carroll mit Alice hinter den Spiegeln Pate. Nicht nur, dass der bloggende Teenie "in Wirklichkeit" Alice heißt und sich Spiegel-Bilder im Buch dort und da finden, von den Wänden des Stiegenhauses des Naturhistorischen Museums als geplantem Ort für eine Show bis zur abstrusen Darmspiegelung, der sich Bianca unterzieht. Das "Kaninchenloch", durch das die Mädchen wie so viele Jugendliche heute zu gern fallen, ist das Login zu diversen Plattformen im Internet. Sich im Bild und als Bild zu inszenieren, um in der parallelen Welt des Netzes "Leben" als Lifestyle zu dokumentieren: für die web-affine Generation scheint das das neue Wunderland zu sein. Statt wie einst Schultische zu bekritzeln oder einander Zettelchen zuzuschieben, geben die bloggenden Youngsters auf ihrem mobilen Endgerät vom Bankfach aus ihr Statement ab und schaffen sich so ihr kommunikatives Netz.
Olga Flor, die selbst in der Multimediabranche tätig war, liefert hier eine scheinbar leichthändig verfasste, dabei aber tiefsinnige Medien- und Gesellschaftsanalyse. Über den verinnerlichten Zwang so vieler, "permanent performativ" zu sein, werden einmal mehr unsere postkapitalistischen Arbeitsverhältnisse reflektiert. Über das (vorerst) unbezahlte kreative Schaffen der schulpflichtigen Modebloggerin stellt sie die Frage danach, was produktive Arbeit heute ist, in karikierender Schärfe. In ihren klugen Überlegungen zum "Fleischmarkt" heutiger weiblicher Körper stehen die Protagonistinnen bei Flor der jungen feministischen Bloggerin Laurie Penny in nichts nach. Denn viele der in diesem Roman krass überzeichnet scheinenden Phänomene der Mode- und Modelwelt erweisen sich als erschreckende Realität. Wenn etwa mit der größten Selbstverständlichkeit Fotos von Erbrochenem gepostet werden statt der ad nauseam im Netz kursierenden hübschen Gerichte, ist das nur ein Fingerzeig auf eine der vielen Folgen des heutigen Körperdesigns - und konsequent für eine Autorin, die seit je auf die Untiefen unter der schönen Oberfläche weist. Als eine, die sich bei ihren Auftritten selbst prononciert modisch gibt oder vielmehr über vestimentäre Codes (wie das einst hieß) die feinen Unterschiede inszeniert, läuft sie in ihrem jüngsten Werk zu Hochform auf. Das betrifft nicht nur das Thema der Modebranche und der Erscheinungen des Ichs, sondern vor allem auch die Form, die schier grenzenlose Freiheit, die ein Weblog über das Herstellen von Verweisen und Hyperlinks ihr bietet. Von der gefinkelten Zeitstruktur ganz abgesehen. Wohl hat Flor bereits das Geschehen ihres Roman Kollateralschaden (2008) über die gedehnte Folge von sechzig Minuten organisiert. Doch die hier nun provozierte "Zeitumstülpung", wie es an einer Stelle heißt, steigert bei der studierten Physikerin Flor die Lust am Text sichtlich immens. Sprachbilder und Bildsprache scheinen einander wechselweise aufzustacheln; all die dem Blogmodus entlockten Finten, die durchtriebenen Anspielungen, die Sensibilität für den Tonfall und das denglische Szenevokabular sorgen für ein höchst intellektuelles Lesevergnügen. Und abermals ziehen hier bei Flor zwei Frauen die Fäden, zumal solche, denen das gemeinhin kaum zugetraut wird: Models und Mädchen. Statt über sich verfügen zu lassen, bewegen sie sich selbstbestimmt und -bewusst im System, um sich diesem damit zumindest ein Stück weit zu widersetzen.
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