Der Anfang aller Dinge Naturwissenschaft und Religion Hans Küng
Material type:
- Text
- ohne Hilfsmittel zu benutzen
- Band
- 9783492047876
- 3492047874
- 230 500 22sdnb
Item type | Current library | Collection | Call number | Status | Barcode | |
---|---|---|---|---|---|---|
![]() |
Schulbibliothek BSZ Mistelbach ZSB | Sachliteratur | PI.C KÜN (Browse shelf(Opens below)) | Available | 116826 |
Quelle: www.rezensionen.at - 2/2006 Andreas Telser
Spätestens seit Christoph Kardinal Schönborns Artikel Finding Design in Nature, veröffentlicht in der New York Times am 7. Juli 2005, ist klar, dass das seit Galileo Galilei belastete Verhältnis zwischen Naturwissenschaft und Theologie weiterhin einer intensiven Auseinandersetzung beider Seiten sowohl mit den jeweils eigenen wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen als auch mit jenen der jeweils anderen Seite bedarf. Einen gut zugänglichen Beitrag von Seiten der Theologie leistet hierfür das neueste Buch des renommierten Tübinger Theologen und Präsidenten der Stiftung Weltethos, Hans Küng.
In fünf Abschnitten (A. Eine vereinheitlichte Theorie für alles? B. Gott als Anfang? C. Weltschöpfung oder Evolution? D. Leben im Kosmos? E. Der Anfang der Menschheit) und einem Epilog (Das Ende aller Dinge) beschäftigt sich der Autor mit der Frage nach dem "Anfang aller Dinge", die eigentlich eine "Doppelfrage" ist: "Die Kernfrage nach dem Anfang überhaupt" (warum das Universum überhaupt existiert und nicht vielmehr nichts [G.W. Leibniz (96)]) und die "Rahmenfrage nach den Anfangsbedingungen" (also danach, warum das Universum gerade so und nicht anders ist) (16).
Die den Menschen seit jeher beschäftigende Frage nach dem "Anfang" wird geistes- und kirchengeschichtlich erst an jenem Punkt brisant, an dem sich die entstehende Naturwissenschaft aus ihrer kirchlich-dogmatistischen Umklammerung freizukämpfen beginnt (Kopernikus, Kepler, Galilei). Galileis Konflikt mit der Kirche ist für den Autor kein Einzelfall, sondern "ein symptomatischer Präzedenzfall, der das Verhältnis der jungen aufstrebenden Naturwissenschaft zu Kirche und Religion an der Wurzel vergiftete" und "sich angesichts des Fortschritts der Naturwissenschaft […] noch verhärtete" (20). Um dieser Verhärtung der Fronten entgegenzuwirken, werden (theologisch gebildete) LeserInnen durch die Geschichte der Physik sowie deren zentrale Erkenntnisse - Einstein, Heisenberg, Hawking seien hier stellvertretend erwähnt - geführt. Dabei versäumt es der Autor nicht, auch unter Einbindung des Grundlagenstreits in der Mathematik sowie der Aporie(n) des Logischen Positivismus, die Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis aufzuzeigen.
Dass etwa Stephen Hawking seine Suche nach einer Weltformel bzw. einer "Großen Vereinheitlichten Theorie" (GUT) im Jahr 2004 aufgegeben hat, veranlasst Küng zu keinem theologischen Triumphalismus, sondern lässt ihn für ein "Komplementaritätsmodell kritisch-konstruktiver Interaktion von Naturwissenschaft und Religion" plädieren. In diesem Modell sollen "die Eigensphären bewahrt, alle illegitimen Übergänge vermieden und alle Verabsolutierungen abgelehnt werden". Naturwissenschaft und Theologie mögen gemeinsam in "gegenseitiger Befragung und Bereicherung der Wirklichkeit als ganzer in allen ihren Dimensionen" gerecht zu werden versuchen (57).
Besonders hervorzuheben ist der letzte Abschnitt des Buches (E. Der Anfang der Menschheit), der im Zusammenhang mit der phylogenetischen Entwicklung des Menschen die aktuelle Diskussion zwischen Naturwissenschaft und Philosophie bzw. Theologie um die Deutung der Erkenntnisse aus der Hirnforschung aufgreift. Der Autor verarbeitet hier (freilich nicht nur hier!) aktuellste Literatur, so dass die Lektüre dieses Abschnitts als außerordentlich gewinnbringend anzusehen ist. Die durch Positronenemissionstomographie (PET) und andere technische Instrumente ermöglichten bildgebenden Verfahren erlauben Einblicke in die engen Zusammenhänge zwischen psychischen und physischen (elektrochemischen) Vorgängen im menschlichen Gehirn. Das hat einige Hirnforscher (die vom Autor wahrgenommenen Publikationen stammen ausschließlich von Männern!) dazu bewogen, "Willensfreiheit im starken Sinn [als] Täuschung" einzustufen (G. Roth; 196). Die moralisch-rechtlichen Auswirkungen einer solchen Deutung ("Willensfreiheit als Illusion") wären jedoch fatal: Verantwortung und, als Konsequenz, Schuld würden verharmlost (197). Es ist das Verdienst des Autors, dass er das erst 2004 veröffentlichte "Manifest über Gegenwart und Zukunft der Hirnforschung" bereits in seine Ausführungen einarbeitet; dieses zeigt selbstbewusst das bisher Erforschte und selbstbescheiden dessen Grenzen auf: "… wie das innere Tun als ‚seine' [des Gehirns; A.T.] Tätigkeit erlebt wird und wie es zukünftige Aktionen plant, all dies verstehen wir nach wie vor nicht einmal in Ansätzen. Mehr noch: Es ist überhaupt nicht klar, wie man dies mit den heutigen Möglichkeiten erforschen könnte" (201).
Des Autors "Steckenpferd" der letzten Jahre (Weltethos) findet - berechtigterweise - im abschließenden Teil auch noch Platz: In evolutionsbiologischen sowie komplexen sozio-kulturellen Prozessen haben sich aus dem "Ur-Ethos" der verschiedenen Völker mannigfaltige ethische Traditionen gebildet, welche die Basis für ein "heute gelebtes Welt-Ethos" bilden (213).
Alles Reden vom Anfang kommt irgendwann einmal auch zum Ende; so denkt der mittlerweile 78jährige Autor am Ende über Das Ende aller Dinge (Epilog) nach und lässt dabei das eigene Ende nicht unbedacht. Persönlich nimmt er die Pascalsche Wette an, vertraut - als Christ - auf die Botschaft des Jesus von Nazareth und hofft auf "ein Sterben in die aller-erste-allerletzte Wirklichkeit, in Gott hinein" (225).
Hans Küngs neuestes Buch besticht durch altbekannte Qualitäten: sehr gute Lesbarkeit gepaart mit der Fähigkeit, eine komplexe - theologiefremde - Materie verständlich darzustellen und sie in Dialog mit einer aufgeklärten Theologie zu bringen. Inwieweit die verarbeiteten naturwissenschaftlichen Erkenntnisse adäquat präsentiert werden, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten. Es sei lediglich darauf verwiesen, dass der Autor - nach eigenen Angaben - das vorliegende Buch in Manuskriptform seinen "kundigen Fachkollegen aus den Naturwissenschaften" vorgelegt hat (246). Wer Einführungsliteratur zur Thematik Naturwissenschaft und Religion/Theologie sucht, wird Küngs Buch mit Gewinn lesen.
There are no comments on this title.