Expedition Europa fünfzig exzessive Selbstversuche

Leidenfrost, Martin 1972-

Expedition Europa fünfzig exzessive Selbstversuche Martin Leidenfrost - [1. Aufl.] - 239 Seiten 19 cm

Quelle: www.rezensionen.at -

Europa-Bücher muss man schnell schreiben und lesen, weil nicht sicher ist, ob es Europa am nächsten Tag noch gibt. Als Ganzes mag Europa ja noch eine gewisse Halbwertszeit haben, was sich aber tatsächlich oft über Nacht ändert, sind die Ausbüchs-Versuche diverser Gruppierungen, Ethnien oder Sprachinseln.
Martin Leidenfrost hat sich als Niederösterreicher vor Jahren an der slowakischen Grenzkante bei Bratislava angesiedelt und beschreibt seither Europa in individualisierten Pixeln, die er auf seinen Exkursionen unermüdlichen zusammenträgt. Seine Expeditionen tragen ihn oft an Europas Grenzen, dabei gehört die Ukraine mit all ihren verwundeten Territorien genauso dazu wie die Noch-nicht-EU-Mitglieder Serbien oder Albanien. Ein Essay über die Territorien wendet sich neben Schottland, Belgien oder Ungarn auch Berg-Karabach zu, wo man mit Parallelen zu Südtirol aus dem Dilemma von Enklaven und Gelände-Ausfransungen herauskommen will.
Scheinbar vordergründig steht dabei die Sprache im Mittelpunkt, die ja auch nicht immer logisch behandelt wird. So gelten die Roma in der einzigen Ortschaft der Slowakei, die eine dreisprachige Ortstafel trägt, als dreisprachig, während alle anderen zweisprachig sind. Romanes nämlich gilt als Einbahnsprache, die man nur aus der Sicht der Roma heraus spricht aber niemals in sie hinein. (54)
Vieles an Ungereimtheiten und Konflikten wird tatsächlich in Brüssel gemacht, wo man mit dem falschen Messer der Vorschriften in das zärtlich verwachsene Fleisch der Bevölkerung schneidet. So gelten nach einer Richtlinie Regionen nur dann als Förderungswürdig, wenn sie eine Einwohnerzahl zwischen 800.000 und drei Millionen aufweisen. Wenn eine Ethnie nicht dazu passen soll, verkleinert man sie per Volkszählung einfach auf 700.000.
Aber auch emotional geht etwas meist schief, wenn es ganz woanders entschieden wird. Die niederösterreichische Stromgesellschaft EVN ist in Bulgarien verwickelt. Als sie dort die Preise in unerschwingliche Höhen treibt, zünden Bulgaren zuerst EVN-Autos an und später sich selbst. Solche Verzweiflungsgeschichten gehen natürlich nicht durch die Presse, denn sie stören die Erfolgsgeschichte, die in der Lobby-Zentrale Brüssel täglich aufgekocht wird.
Nach einer EU-Wahl sitzen plötzlich zwei Tierschützer im EU-Parlament und die Fleischlobby kriegt es plötzlich mit der Angst zu tun. - Europa ist eben auch ein Gebilde aus falschen Zahlen und Einschätzungen.
Um zu kapieren, wie ein diffuses Gebilde generell tickt, stellt der Autor einen Antrag auf Aufnahme in den moldawischen Schriftstellerverband. Dabei spielt sich das Gleiche ab wie auf EU-Ebene, es wird mit Verträgen und Protokollen so lange getrickst, bis der Antrag vergessen ist.
Der Grund für die Expeditionen ist immer der gleiche: Neugierde! Martin Leidenfrost will als Journalist für Grenzen und Grenzerfahrungen immer wieder sehen, was mitten in Europa los ist und dennoch nicht in der Zeitung steht. Manchmal leistet er sich eine persönliche Neigung, er fährt nach Antrazyt, weil der Name der Stadt so dunkel klingt. Tatsächlich produziert die ehemalige Kurstadt in der Ostukraine immer noch heilende Schlämme, aber niemand will sie sich in diesem Schlamassel auflegen.
Nach diesem Expeditionsbericht durch Europa merkt man als Leser, dass man eigentlich fast gar nicht über Europa weiß. Und spontan bricht die Neugierde im Kopf aus und schnürt einem schon mal die Schuhe.
Helmuth Schönauer

9783711720337 Festeinband : EUR 20.00 (AT), EUR 20.00 (DE) 3711720331

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Erzählungen, europäische
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