Das ewige Leben Roman
Haas, Wolf 1960-
Das ewige Leben Roman Wolf Haas - 1. Aufl. - 220 S. 21 cm
Quelle: www.rezensionen.at - Leo Federmair
Mein lieber Schwan / Der letzte (?) von Wolf Haas' Brenner-Krimis
Zum Beispiel folgender Absatz: "Aber ich sage, man soll nicht immer gleich mit Selbstbild und Unglücksbringerei daherkommen, wenn es genug einfache Erklärungen für etwas gibt. Manchmal geht mir dieses Gerede mit Selbstbild und ding schon auf die Nerven, wo sich die Leute, denen man ihr viel zu gutes Selbstbild schon an der Nasenspitze ansieht, immer über ihr viel zu schlechtes Selbstbild beklagen. Dabei hat ein negatives Selbstbild in den meisten Fällen durchaus seine Berechtigung, und negatives Selbstbild sogar oft das einzig Positive an einem Menschen, und das will er auch noch ablegen.
Wer spricht da? Ein scharfer Beobachter unserer Gesellschaft? Ein Philosoph? Oder einer, der zu modernisierten Allgemeinplätzen neigt? Gar ein Stammtischbruder? Ich glaube, er blickt schon ab und zu hinter die Fassaden, der namenlose Erzähler in den Brenner-Krimis von Wolf Haas, obwohl er es sich oft auch einfach macht und das wiedergibt, was "man" halt so sagt. Sicher, er gibt sich Mühe. Auf keinen Fall will er als Reaktionär erscheinen (denn auch er legt wert auf sein Selbstbild). Am urigen Stammtisch kann man ihn sich nicht vorstellen, eher schon in einem Wiener Vorstadt-Pub, wo man einen G'spritzten trinkt statt Guinness- Bier. Das mit dem Selbstbild bezieht sich auf die weit verbreitete Angeberei, und hinter der Rede vom positiven Negativ- Selbstbild steckt eine Aufforderung zur Tugend der Selbstkritik. Dabei ist der Haassche Erzähler keiner, der einen Tugendkatalog parat hätte. Keine Ideologie, keine großen Überzeugungen. Aber in den jeweiligen Fällen nimmt er dann doch immer wieder Stellung. Kein Gutmensch, kein Schlechtmensch, sondern bunt gemischt. Durchaus nicht der postmoderne Agnostiker, als den ihn manche haben wollen. Und ein Kind der Pop-Kultur gerade so wie jeder, der in den sechziger oder siebziger Jahren groß geworden ist. Wer liebt heute, wo er tot ist, nicht Jimi Hendrix?
Selbstbild und ding … Ding ist ein Jokerwort, aber kein Kunstwort, denn im österreichischen Erzählalltag ist es seit Jahrzehnten verbreitet. Die Kunst des Wolf Haas besteht in erster Linie darin, vorgefundenes Material, vorgefundene Formeln zu montieren - meistens so, daß sie dem (österreichischen) Leser vertraut vorkommen, und manchmal so, daß sie plötzlich fremd erscheinen. "Ding" sagt man, wenn einem das richtige Wort nicht einfällt oder wenn es einem peinlich ist und man es daher vermeidet. Es ist ein schamvolles Wort mit Null-und-All-Bedeutung. Im zitierten Absatz dient es Wolf Haas zu einem Trick, der die Unglücksbringerei, die in der alltagsphilosophischen Reflexion des Erzählers eher störend wirkt, verschwinden läßt. Ding fungiert hier als Radiergummi. Was war das noch? Vergessen… Egal.
Man braucht nur eine Seite zurückzublättern, um auf weitere Beispiele solcher Instrumentierung der "natürlichen" Erzählsprache zu stoßen: "Wanderlust nichts dagegen. Weil ich sage immer…", "und, und, und", "Aber glaubst du …? Nichts da …", "quasi Unglücksbringer". Selbst das Quasi, das ein wenig nach humanistischer Bildung riecht, ist eine Formel, die im österreichischen Erzählalltag ohne jeden literarischen Bezug verwendet wird. Oder wurde, denn diese Formeln und Topoi scheinen im Aussterben begriffen zu sein, sie gehören zum Sprachgut unserer - Wolf Haas' oder meiner - Eltern und Großeltern, nicht mehr zu dem der jüngeren Generationen. Armin Assinger, der ehemalige Schirennläufer, redet so, wenn er fürs Fernsehen Rennen kommentiert. Dieser Kärntner Bauernbub ist ein Naturtalent nicht nur des Schifahrens, sondern auch des Erzählens. "Mein lieber Schwan", dieser von Haas geliebte und gehätschelte Ausdruck, geht auch ihm leicht über die Lippen. Aus all dem folgt, daß die Volkstümlichkeit oder, wie man heute sagt, die Popularität seiner Krimis von vornherein in ihnen angelegt ist. Mag sein, daß sie in Norddeutschland exotisch wirken; österreichische Leser haben an ihnen die Freude des Wiederkennens, auch wenn dies den Autor, der eher verfremden als bestätigen will, mitunter stören sollte. Ein gewisser Grad an Affirmativität in Hinblick auf das Gegebene (vor allem das sprachlich Gegebene) ist bei volkstümlicher Literatur unvermeidlich.
Ich stelle mir vor, daß solche Erwägungen Haas dazu bewogen haben, aus dem Krimi-Genre auszusteigen. "Das ewige Leben" ist dem Autor zufolge der letzte der sechs Brenner-Krimis. Und auf diesen Ausstieg läuft das Buch tatsächlich zu, auch wenn der Tod einer Hauptfigur sich in der Literaturgeschichte schon öfters als unzureichend erwiesen hat, um eine Serie zu beenden. Einem Meister der Fiktion darf es naturgemäß nicht schwerfallen, Tote zum Leben zu erwecken … Zumal Brenner, der Polizeiinspektor und spätere Detektiv und Möchtegern-Aussteiger, mehr Leben als jede Katze zu haben scheint. In "Das ewige Leben" ist er fast nicht unterzukriegen. In Graz, der Arnold-Schwarzenegger- Stadt mit dem Arnold-Schwarzenegger- Stadion, wird der Durchschnittsmensch Brenner zum Übermenschen, der erst dann stirbt, als der Erzähler zum ersten Mal nach sechs Büchern in das Geschehen eingreift - und damit gegen die eigene Absicht, in kontraproduktiver Wirkung das Erzählen beendet. Eine Lehre, die man aus Haas' Büchern, aber vielleicht aus jedem Krimi, ziehen kann: Besser, man handelt gar nicht. Die paar Verbrechen, die hier und dort geschehen, wären noch zu ertragen. Doch sobald die klugen Männer mit ihrem Spürsinn und ihrer Logik die Bühne betreten, finden immer mehr Gewalttaten statt, um die Spuren des ersten Verbrechens zu tilgen. Nicht durch das anfängliche Verbrechen geht die action los, sondern durch die Aufklärungsbemühungen des Inspektors. Wie gut wäre die Welt, wenn es keine Detektive und Kommissare gäbe! Vielleicht ist das die ‚eigentliche', also ‚philosophische' Überlegung hinter Haas' verzweifeltem Versuch, das Brenner-Universum in nichts aufzulösen? Einstweilen ist es nur suspendiert, der Brenner selbst zwischen Existenz und Nicht-Existenz, das heißt ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding
9783455025590 Pp. 3455025595 Pp.
9783455025590
03,A17,1728 dnb
96580707X DE-101
Dichtung
Depression
Nervenklinik
Selbstmord
(VLB-FS)Haas (VLB-FS)ewige (VLB-FS)Leben (VLB-PF)BB: Gebunden (VLB-WI)1: Hardcover, Softcover, Karte (VLB-WG)120: Belletristik / Kriminalromane
830 B
Das ewige Leben Roman Wolf Haas - 1. Aufl. - 220 S. 21 cm
Quelle: www.rezensionen.at - Leo Federmair
Mein lieber Schwan / Der letzte (?) von Wolf Haas' Brenner-Krimis
Zum Beispiel folgender Absatz: "Aber ich sage, man soll nicht immer gleich mit Selbstbild und Unglücksbringerei daherkommen, wenn es genug einfache Erklärungen für etwas gibt. Manchmal geht mir dieses Gerede mit Selbstbild und ding schon auf die Nerven, wo sich die Leute, denen man ihr viel zu gutes Selbstbild schon an der Nasenspitze ansieht, immer über ihr viel zu schlechtes Selbstbild beklagen. Dabei hat ein negatives Selbstbild in den meisten Fällen durchaus seine Berechtigung, und negatives Selbstbild sogar oft das einzig Positive an einem Menschen, und das will er auch noch ablegen.
Wer spricht da? Ein scharfer Beobachter unserer Gesellschaft? Ein Philosoph? Oder einer, der zu modernisierten Allgemeinplätzen neigt? Gar ein Stammtischbruder? Ich glaube, er blickt schon ab und zu hinter die Fassaden, der namenlose Erzähler in den Brenner-Krimis von Wolf Haas, obwohl er es sich oft auch einfach macht und das wiedergibt, was "man" halt so sagt. Sicher, er gibt sich Mühe. Auf keinen Fall will er als Reaktionär erscheinen (denn auch er legt wert auf sein Selbstbild). Am urigen Stammtisch kann man ihn sich nicht vorstellen, eher schon in einem Wiener Vorstadt-Pub, wo man einen G'spritzten trinkt statt Guinness- Bier. Das mit dem Selbstbild bezieht sich auf die weit verbreitete Angeberei, und hinter der Rede vom positiven Negativ- Selbstbild steckt eine Aufforderung zur Tugend der Selbstkritik. Dabei ist der Haassche Erzähler keiner, der einen Tugendkatalog parat hätte. Keine Ideologie, keine großen Überzeugungen. Aber in den jeweiligen Fällen nimmt er dann doch immer wieder Stellung. Kein Gutmensch, kein Schlechtmensch, sondern bunt gemischt. Durchaus nicht der postmoderne Agnostiker, als den ihn manche haben wollen. Und ein Kind der Pop-Kultur gerade so wie jeder, der in den sechziger oder siebziger Jahren groß geworden ist. Wer liebt heute, wo er tot ist, nicht Jimi Hendrix?
Selbstbild und ding … Ding ist ein Jokerwort, aber kein Kunstwort, denn im österreichischen Erzählalltag ist es seit Jahrzehnten verbreitet. Die Kunst des Wolf Haas besteht in erster Linie darin, vorgefundenes Material, vorgefundene Formeln zu montieren - meistens so, daß sie dem (österreichischen) Leser vertraut vorkommen, und manchmal so, daß sie plötzlich fremd erscheinen. "Ding" sagt man, wenn einem das richtige Wort nicht einfällt oder wenn es einem peinlich ist und man es daher vermeidet. Es ist ein schamvolles Wort mit Null-und-All-Bedeutung. Im zitierten Absatz dient es Wolf Haas zu einem Trick, der die Unglücksbringerei, die in der alltagsphilosophischen Reflexion des Erzählers eher störend wirkt, verschwinden läßt. Ding fungiert hier als Radiergummi. Was war das noch? Vergessen… Egal.
Man braucht nur eine Seite zurückzublättern, um auf weitere Beispiele solcher Instrumentierung der "natürlichen" Erzählsprache zu stoßen: "Wanderlust nichts dagegen. Weil ich sage immer…", "und, und, und", "Aber glaubst du …? Nichts da …", "quasi Unglücksbringer". Selbst das Quasi, das ein wenig nach humanistischer Bildung riecht, ist eine Formel, die im österreichischen Erzählalltag ohne jeden literarischen Bezug verwendet wird. Oder wurde, denn diese Formeln und Topoi scheinen im Aussterben begriffen zu sein, sie gehören zum Sprachgut unserer - Wolf Haas' oder meiner - Eltern und Großeltern, nicht mehr zu dem der jüngeren Generationen. Armin Assinger, der ehemalige Schirennläufer, redet so, wenn er fürs Fernsehen Rennen kommentiert. Dieser Kärntner Bauernbub ist ein Naturtalent nicht nur des Schifahrens, sondern auch des Erzählens. "Mein lieber Schwan", dieser von Haas geliebte und gehätschelte Ausdruck, geht auch ihm leicht über die Lippen. Aus all dem folgt, daß die Volkstümlichkeit oder, wie man heute sagt, die Popularität seiner Krimis von vornherein in ihnen angelegt ist. Mag sein, daß sie in Norddeutschland exotisch wirken; österreichische Leser haben an ihnen die Freude des Wiederkennens, auch wenn dies den Autor, der eher verfremden als bestätigen will, mitunter stören sollte. Ein gewisser Grad an Affirmativität in Hinblick auf das Gegebene (vor allem das sprachlich Gegebene) ist bei volkstümlicher Literatur unvermeidlich.
Ich stelle mir vor, daß solche Erwägungen Haas dazu bewogen haben, aus dem Krimi-Genre auszusteigen. "Das ewige Leben" ist dem Autor zufolge der letzte der sechs Brenner-Krimis. Und auf diesen Ausstieg läuft das Buch tatsächlich zu, auch wenn der Tod einer Hauptfigur sich in der Literaturgeschichte schon öfters als unzureichend erwiesen hat, um eine Serie zu beenden. Einem Meister der Fiktion darf es naturgemäß nicht schwerfallen, Tote zum Leben zu erwecken … Zumal Brenner, der Polizeiinspektor und spätere Detektiv und Möchtegern-Aussteiger, mehr Leben als jede Katze zu haben scheint. In "Das ewige Leben" ist er fast nicht unterzukriegen. In Graz, der Arnold-Schwarzenegger- Stadt mit dem Arnold-Schwarzenegger- Stadion, wird der Durchschnittsmensch Brenner zum Übermenschen, der erst dann stirbt, als der Erzähler zum ersten Mal nach sechs Büchern in das Geschehen eingreift - und damit gegen die eigene Absicht, in kontraproduktiver Wirkung das Erzählen beendet. Eine Lehre, die man aus Haas' Büchern, aber vielleicht aus jedem Krimi, ziehen kann: Besser, man handelt gar nicht. Die paar Verbrechen, die hier und dort geschehen, wären noch zu ertragen. Doch sobald die klugen Männer mit ihrem Spürsinn und ihrer Logik die Bühne betreten, finden immer mehr Gewalttaten statt, um die Spuren des ersten Verbrechens zu tilgen. Nicht durch das anfängliche Verbrechen geht die action los, sondern durch die Aufklärungsbemühungen des Inspektors. Wie gut wäre die Welt, wenn es keine Detektive und Kommissare gäbe! Vielleicht ist das die ‚eigentliche', also ‚philosophische' Überlegung hinter Haas' verzweifeltem Versuch, das Brenner-Universum in nichts aufzulösen? Einstweilen ist es nur suspendiert, der Brenner selbst zwischen Existenz und Nicht-Existenz, das heißt ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding ding
9783455025590 Pp. 3455025595 Pp.
9783455025590
03,A17,1728 dnb
96580707X DE-101
Dichtung
Depression
Nervenklinik
Selbstmord
(VLB-FS)Haas (VLB-FS)ewige (VLB-FS)Leben (VLB-PF)BB: Gebunden (VLB-WI)1: Hardcover, Softcover, Karte (VLB-WG)120: Belletristik / Kriminalromane
830 B