Steiners Geschichte Roman Constantin Göttfert
Material type: TextLanguage: German Publisher: München Beck 2014Edition: 1. AuflDescription: 476 S. 22 cmContent type:- Text
- ohne Hilfsmittel zu benutzen
- Band
- 9783406667572
- 3406667570
- 830 B 23sdnb
Item type | Current library | Collection | Call number | Status | Date due | Barcode | |
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Bücher | Schulbibliothek BSZ Mistelbach ZSB | Belletristik | DR GÖT (Browse shelf(Opens below)) | Available | 10122914 |
Quelle: www.rezensionen.at - Marlen Schachinger
Diesseits und jenseits der Grenze
Constantin Göttferts Roman "Steiners Geschichte"
Constantin Göttferts Roman Steiners Geschichte lässt sich in mehr als einer Hinsicht mit dem Wort ›Dilemma‹ beschreiben, denn dieses Werk zeigt, anhand eines Themas, dem man besonders zahlreiche Leser/innen wünschen würde, sehr gut, was Göttfert zu gestalten vermag und woran er scheitert - oder betiteln wir es eine Spur neutraler: Welche erzähltheoretischen Fragen er mit jenem Roman implizit aufwirft, ohne textimmanent eine Antwort anbieten zu können oder zu wollen.
Die Geschichte des Romans selbst spielt in Niederösterreich, nahe der Grenze zur Slowakei, die dort durch die March eine natürliche ist. Der Ich-Erzähler, Martin, ein Lehrer, der als junger Mann Komponist werden wollte, seinem Beruf daher mit entsprechend mangelhaftem Engagement nachgeht, verliert den Boden unter den Füßen, weil seine langjährige Freundin, im Suchen nach ihren Wurzeln, die jenseits der Staatsgrenze auf der slowakischen Seite liegen, dem ihren nicht mehr traut. Als ihr Großvater Steiner stirbt, bittet sie Martin um eine Auszeit, verschwindet kurz nach der Geburt des Kindes, irrt mit dem Baby durch Niederösterreich, Wien, Bratislava und Umgebung, auf der Suche nach Details ihrer Familiengeschichte. Diese ist geprägt durch diejenige der Karpatendeutschen. Und Martin folgt ihr, gleich einem sich ewig verspätenden Schatten… Ein Roman über Nationalismus und Nationalsozialismus, Ausgrenzung und Wurzellosigkeit, über Einschnitte im Leben wie Tod oder Geburt, und die Art und Weise, wie solche Geschehnisse uns Menschen aus der Bahn werfen können; ein wesentlicher Roman, durchaus!
Abgesehen von dieser thematischen Relevanz, besticht Göttferts Arbeit durch sprachliche Genauigkeit, die überzeugende Darstellung der Figuren, ihrer Sprachlosigkeit und Starre, der Spannungsbogen trägt - ja, es gibt durchaus einige redundante Passagen, ein Straffen der Erzählhandlung vor dem Ortswechsel von Wien in die Slowakei, vom Stagnieren zum Spurenlesen hätte dem Roman sicherlich nicht geschadet. Weil Constantin Göttferts die Kunst der Leerstelle in emotionalen Situationen beherrscht, gelingt es ihm oftmals, Szenen in all ihrer Brüchigkeit zu entwerfen, sodass sie im Gedächtnis bleiben. Zudem arbeitet er ab und an mit gespiegelten Reaktionen, um hierdurch das Innenleben seiner Charaktere zu verdeutlichen. Zu den gelungensten Passagen gehört meines Erachtens die nachfolgende, die alsdann in eine derjenigen übergeht, die mit einem großen Fragezeichen zu markieren wären. Kurz zur Situation: Das Paar hat sich gerade erst getrennt, Martin ist vorübergehend bei seiner Mutter untergekommen, nächtigt im ehemaligen Kinderzimmer. Ina ruft Martin an, sie nimmt Bezug auf ein früheres Ereignis, den ersten Besuch Martins bei ihrer Familie, der vielfache Turbulenzen auslöste: "Ich sagte: ›Ich will wissen, was du jetzt vorhast.‹
Ich richtete mich im Kinderbett auf, ich musste geschwitzt haben. Das Bettzeug klebte an meiner Haut. Ich liege hier in einer klebrigen Vergangenheit, dachte ich. ›Hör mir doch einmal zu!‹, rief sie. ›Ich will dir das erzählen. Es ist wichtig!‹"
Die Spiegelung der Gesamthandlung ebenso wie Inas Befindlichkeit in Martins Körpergefühl, ist eine Technik, die Göttfert wiederholt und klug nutzt. Doch wird just an dieser Stelle geschnitten, der Erzählfaden, nach einer Leerzeile mit den Worten "Am nächsten Tag beim Frühstück […]" erneut aufgenommen; unklar bleibt bei solch einer Formulierung, ob es der nächste Tag Martins ist, wir uns also in der erzählerischen Gegenwart befinden könnten, oder aber - was Göttfert in diesem Roman gerne tut - wir noch im Zeitsprung rückwärts verharren, uns das Erzählen einer anderen Figur dargelegt werden wird. Dies wird als Tatsache (leider schon) ab dem zweiten Satz deutlich, wodurch sich Göttfert Möglichkeiten des Spiels mit der Ungewissheit sowie im Verweben der (Zeit-)Ebenen vergibt.
Das Scheitern beginnt in diesen Zeitsprüngen. Göttfert legt Ebenen nebeneinander, ohne sie zu verweben. Sie wachsen nicht eine aus der anderen, sondern sie bleiben starre Schichten. Manchmal ergibt sich hierdurch ein interessanter Kontrast, manchmal misslingt es, weil sich ein erzählender Exkurs-Ton einschleicht. Gerade weil Göttfert zu erzählen vermag, sind jene Passagen, die man mit "misslungen" bezeichnen kann, um so irritierender. In diesen scheint der Autor etwas anzustreben, das jedoch mit seinem ansonsten umgesetzten erzählerischen Konzept nicht korrespondiert. Am auffallendsten wird dies in aufgepfropften Fremdkörpern im Erzähluniversum, die sich am ehesten als enervierende Miniatur-Exkurse zur Historie einer Region, einer politischen Geschichte der Grenzregion etc. beschreiben lassen. Hierzu ein Beispiel:
"Ich sagte längere Zeit nichts, und auch sie sagte nichts weiter.
An einem Nebentisch unterhielten sich lautstark zwei Männer, ihr Gespräch war mir die ganze Zeit über aufgefallen, jetzt blickte ich hin, es sah aus, als würden die zwei in Streit geraten. Sie sprachen über die sogenannte Schengen-Öffnung, die im Jahre 2007 mit der Slowakei vereinbart worden war. Durch sie war es erlaubt, die Grenze erstmals ohne Passkontrolle zu überschreiten."
Dies ist der Beginn eines alsdann folgenden beinahe halbseitigen Exkurses über die latente Xenophobie in Österreich, die Panikmache in den Printmedien zu jener Zeit, gehalten im Stil der Schengen-Sätze, nicht mit der erzählten Situation verwoben.
Diese Exkurse sind keine Grenzgänge zur Semi-Fiction; hierfür wären andere Techniken als das Aufpfropfen weitaus sinnvoller; Intertextualität zum Beispiel, die eine brisantere und härtere Kälte erzeugen könnte.
Mehrheitlich erwecken jene Stellen den Eindruck, als hätte eine Lektorin, ein Lektor ihm mitgeteilt: Grandioser Roman, Herr Göttfert, den nehmen wir, aber bittschön, der durchschnittliche Leser (oder die durchschnittliche Leserin) ist blöd und vergesslich, von Schengen hat heute keiner mehr eine Ahnung, und wann jene Grenze geöffnet wurde, das haben alle längst vergessen, so relevant ist die March und die Region darum herum global gesehen auch nicht, nachlesen würd's keiner, Sie wollen doch außerdem für den deutschen Markt schreiben, nicht? Dann sein'S doch so gut, fügen Sie das irgendwie ein… - Gut, zugegeben, das ist jetzt eine Geschichte, die ich erzähle; eine vorlaute obendrein, die zumindest die Wiedergabe eines auswendig gelernten Fachwissens durch die Figur erklären könnte. Die nebeneinander gelegten Zeitebenen hingegen erläutern sich dadurch nicht. Textimmanent sind keine schlüssigen Bezüge, die als Erklärungsmodell dienen könnten, vorhanden. Sollte das Veredeln der Weinstöcke, das kurz vor Romanende gestreift wird, dahingehend intendiert gewesen sein, das strukturelle Konzept auch inhaltlich abzubilden, so geht die Rechnung nicht auf, jene Situation steht zu wenig im Erzählmittelpunkt. Wurde der Ton gewählt, um zu verdeutlichen, wie sehr der Ich-Erzähler Martin Zuschauer bleibt, in seinem Leben, in der Historie? Ebenso wenig. Denn an den Rändern der Einschübe flappen diese ungeschickt ins Erzählen, ohne darin Fuß zu fassen, zudem würde diese Technik in Kombination mit der Rückblende, in der sich jene Passagen befinden, keinen Sinn ergeben. Schade. Und andererseits ein Gewinn für jeden, der sich mit narrativen Strukturtechniken beschäftigt…
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