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˜Derœ Aschenmensch von Buchenwald Roman Ivan Ivanji

By: Material type: TextTextLanguage: German Publisher: Wien Picus-Verl. 1999Description: 155 S. 21 cmContent type:
  • Text
Media type:
  • ohne Hilfsmittel zu benutzen
Carrier type:
  • Band
ISBN:
  • 9783854524298
  • 3854524293
Subject(s): Other classification:
  • 59 | 810 | 820 | 830 | 839 | 840 | 850 | 860 | 870 | 880 | 890 | B
Review: Quelle: www.rezensionen.at - Christian Tanzer Über allen Gipfeln ist Ruh / Ivan Ivanjis Roman "Der Aschenmensch von Buchenwald" Im Gegensatz zu den übrigen von den Nationalsozialisten eingerichteten Konzentrationslagern, die alle nach ihren Standorten benannt wurden, erhielt das auf dem Ettersberg bei Weimar entstandene einen fiktiven Namen. Auf Wunsch der Weimarer NS-Behörde sollte ihre Stadt auf alle Zeit mit nichts anderem als den Namen Goethes und Schillers verbunden bleiben. Heinrich Himmler hatte Verständnis für die Sorgen seiner Gesinnungsfreunde, schlug – den botanischen Gegebenheiten folgend – Buchenwald als Bezeichnung vor, und so gibt es heute den seltsamen Umstand zu gewärtigen, daß man die Reste der legendenumwobenen Goethe-Eiche just auf dem Areal des einstigen KZs und der jetzigen Gedächtnisstätte Buchenwald zu suchen hat. Mit der herausfordernden Koexistenz dieser einstmals realen Welten beschäftigt sich Ivan Ivanji in seinem neuesten Roman ebenso wie mit den heutigen Wahrnehmungen und Empfindungen eines Weimar- und Buchenwald-Besuchers, der selbst seiner jüdischen Herkunft wegen als Jugendlicher 13 Monate in deutschen Konzentrationslagern festgehalten wurde und das Kriegsende in Buchenwald erlebte und überlebte. Anders als im vor ein paar Jahren erschienenen Roman »Schattenspringen«, in welchem er die Jahre seiner Kindheit in der Wojwodina als Sproß einer Arztfamilie in einem ungarisch-deutsch-serbischen Umfeld, die Deportation und schließlich die Befreiung aus Buchenwald und die Rückkehr in seine ehemalige Heimat schildert, treten persönliche Erinnerungen nun zugunsten eines distanziert und gelassen agierenden Beobachters in den Hintergrund. Der treibende Impuls geht dabei von einer merkwürdigen Bestattungszeremonie aus, die im August 1997 in der Gedächtnisstätte Buchenwald stattfand und zu der Ivan Ivanji geladen war. Wenige Monate zuvor hatte man bei Renovierungsarbeiten am Krematorium 701 Urnen entdeckt, die nun in einem Akt geschuldeten Respekts den namenlosen Opfern gegenüber in einer Gemeinschaftsurne beigesetzt werden. Vertreter der vier größten Religionen, denen die Toten wahrscheinlich angehört haben, liefern den kirchlichen Rahmen, nicht ohne dabei, von der trügerischen Sicherheit zahlreich durchgeführter Bestattungen verleitet, in grotesk anmutende Handlungen und Aussagen zu entgleisen. Auch der Ich-Erzähler hält eine Ansprache, über deren Inhalt man allerdings nur erfährt, daß die Absicht bestand, auch auf die Opfer unter Homosexuellen und den Zeugen Jehovas hinzuweisen. Vielleicht spart der Autor, der sonst die Umstände und Details dieser Veranstaltung nüchtern bis satirisch überzeichnend festhält, seine Rede deshalb aus, weil er sich der Unzulänglichkeit dieser gutgemeinten, aber oft so hilflosen Versuche, sich des Grauens in Form von allgemein gültigen und zugleich individuell wahrhaftigen Ansprachen zu stellen, bewußt ist. Wie soll man diesen Menschen Gerechtigkeit widerfahren lassen, von denen man weder Namen noch Herkunft kennt? Wie soll man im Rahmen eines Rituals routinierter »KZ-Erinnerungskultur« angemessene Worte finden? Der Ettersberg ist aber für den Ich-Erzähler nicht nur der Ort einstigen Leidens. Dem Goetheliebhaber, dem der Vater in seiner Kindheit Gedichte von Goethe und Schiller in Deutsch vorlas, offenbart sich an den Schauplätzen deutscher Hochkultur und nationalsozialistischer Barbarei ein weites und in seiner Disparität schreckliches und ernüchterndes Assoziationsfeld. »Die pietätlose Vermischung von Gebeinen Verstorbener ist nichts Neues« heißt es da etwa in Anspielung auf Goethes Kult mit Schillers Totenschädel, der auf Wunsch des alten Geheimrates aus dem Gemeinschaftsgrab, in das Schiller geschmissen worden war, herausgewühlt werden mußte. In der Vorstellung des Verfassers vermischen sich diese Bilder mit jenen der KZ-Wirklichkeit, gleichzeitig darüber räsonierend, was Goethe den Arbeitern zugemutet hatte und was ihm selbst davon bewußt sein mußte. Der Erzähler ist allerdings kein verbitterter Ankläger, sondern ein sich scheinbar völlig zurücknehmender Betrachter, Fragensteller, Gesprächspartner (vor allem des eindrücklich und berührend herausgearbeiteten Direktors der Gedenkstätte) und Imagineur. Die Holocaust-Literatur ist ihm vertraut, denn er hat sie studiert, angetrieben von dem Wunsch zu erfahren, wer ihn damals aus dem Transport nach Auschwitz herausgenommen und nach Niederorschel geschickt hat, wo er dank der Unterstützung zweier Mitgefangener »anstatt vergast zu werden, Nietzsche und Pirandello zu lesen bekam«. Während bei einem früheren Besuch der Ort »nichts von der Angst, die ich gehabt haben muß« wieder hervorzurufen vermochte, bewegen ihn nun »die Aschenreste in den letzten in Buchenwald gefundenen Urnen so sehr«, daß er in schlaflosen Nächten nach Worten sucht, die er dazu sagen könnte. Ivanji bedient sich schließlich eines Kunstgriffes: Er verläßt die Ebene des essayistisch verfahrenden Kommentators und tut etwas, was einem Romancier üblicherweise gut ansteht – er schafft sich eine Figur, die ihm das nicht Mitteilbare zu sagen abnimmt, indem er die in den vermischten Aschenresten enthaltenen Gene zu einem einzigen, aber vielstimmigen, körperlosen Wesen zusammenwachsen läßt: einem Nebelstreifen zunächst, der sich im Laufe der Zeit zu einem überdimensionierten, sich über den Ettersberg nach Weimar hinabziehenden Aschenmenschen formiert und in dem die Stimmen der unbekannten Toten sich in einer Vielzahl von Sprachen zu einem harmonischen Chor verbinden. Einzelne dieser Stimmen treten aus dem Chor hervor – sie gehören zum Beispiel einem standhaften dänischen Polizisten, einem gläubigen Juden und einem Gottesleugner, einem Zigeuner aus dem Burgenland, einem jüdischen Geflügelhändler aus Lemberg, einem Buchhändler aus Prag – und erzählen von ihren Leiden, Qualen, Ängsten und Demütigungen. Der Erzähler, der auch in diesen Kapiteln immer wieder kommentierend eingreift, verdeutlicht dem Leser die hierarchischen Strukturen der Häftlingswelt, die besondere Bedeutung des Arbeitsdienstes als eine von den Nazischergen hin zu den Opfern selbst verlagerte Entscheidungsinstanz über Leben und Tod und läßt schließlich Goethes Kammerdiener als Teil dieses »unbestimmbaren Wesens« hervortreten und amüsante Details aus Goethes kulinarischen Vorlieben preisgeben. Es fällt nicht leicht, über das, was Ivanji in den »Aschenmensch-Kapiteln« versucht, angemessen zu schreiben. Deutlich wird, daß es ihm nicht um Schuld, nicht um moralische Urteile geht, vielmehr um eine Sprache, eine Stimme, die dies alles zu erzählen vermag, ohne pathetisch zu werden, einen Erzählton, der das scheinbar Unvereinbare zusammenhält. Die heikle Balance zwischen Schilderungen des Lebens im Ausnahmezustand im Lager und amüsanten, heiteren Einfällen ist Ivanji nicht immer völlig gelungen, wie sollte es auch! Neben erschütternden Sequenzen (etwa jener über das Schicksal einer italienischen Prinzessin) wirken andere Lebensgeschichten wie Illustrationen zu Forschungsergebnissen der Geschichte des KZ Buchenwald. Vor allem die ständig wiederbemühten Reflexionen über das Wesen und die Fragen nach den Möglichkeiten und Richtungen der Entwicklung des Aschenmenschen, einer golemartigen Konstruktion, belasten Ivanjis ambitioniertes Unternehmen, das zwischen Reportage, Dokumentation, Autobiografie und Fiktion changiert. Am Ende findet Ivanji doch ein Bild von seinem Aschenmenschen: »Über dem Urnengrab steht anderthalb Kilometer groß der Aschenmensch von Buchenwald und reckt sich. Seine Gestalt ist jetzt vollendet. Die Wolke unmittelbar über seinem Kopf wirkt wie ein Hut. Sein Gesicht ist erkennbar, es hat die schmerzerfüllten Züge, die Bruno Apitz aus dem Holz der Goethe-Eiche geschnitzt hat.«
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Quelle: www.rezensionen.at - Christian Tanzer

Über allen Gipfeln ist Ruh / Ivan Ivanjis Roman "Der Aschenmensch von Buchenwald"

Im Gegensatz zu den übrigen von den Nationalsozialisten eingerichteten Konzentrationslagern, die alle nach ihren Standorten benannt wurden, erhielt das auf dem Ettersberg bei Weimar entstandene einen fiktiven Namen. Auf Wunsch der Weimarer NS-Behörde sollte ihre Stadt auf alle Zeit mit nichts anderem als den Namen Goethes und Schillers verbunden bleiben. Heinrich Himmler hatte Verständnis für die Sorgen seiner Gesinnungsfreunde, schlug – den botanischen Gegebenheiten folgend – Buchenwald als Bezeichnung vor, und so gibt es heute den seltsamen Umstand zu gewärtigen, daß man die Reste der legendenumwobenen Goethe-Eiche just auf dem Areal des einstigen KZs und der jetzigen Gedächtnisstätte Buchenwald zu suchen hat.
Mit der herausfordernden Koexistenz dieser einstmals realen Welten beschäftigt sich Ivan Ivanji in seinem neuesten Roman ebenso wie mit den heutigen Wahrnehmungen und Empfindungen eines Weimar- und Buchenwald-Besuchers, der selbst seiner jüdischen Herkunft wegen als Jugendlicher 13 Monate in deutschen Konzentrationslagern festgehalten wurde und das Kriegsende in Buchenwald erlebte und überlebte. Anders als im vor ein paar Jahren erschienenen Roman »Schattenspringen«, in welchem er die Jahre seiner Kindheit in der Wojwodina als Sproß einer Arztfamilie in einem ungarisch-deutsch-serbischen Umfeld, die Deportation und schließlich die Befreiung aus Buchenwald und die Rückkehr in seine ehemalige Heimat schildert, treten persönliche Erinnerungen nun zugunsten eines distanziert und gelassen agierenden Beobachters in den Hintergrund. Der treibende Impuls geht dabei von einer merkwürdigen Bestattungszeremonie aus, die im August 1997 in der Gedächtnisstätte Buchenwald stattfand und zu der Ivan Ivanji geladen war. Wenige Monate zuvor hatte man bei Renovierungsarbeiten am Krematorium 701 Urnen entdeckt, die nun in einem Akt geschuldeten Respekts den namenlosen Opfern gegenüber in einer Gemeinschaftsurne beigesetzt werden. Vertreter der vier größten Religionen, denen die Toten wahrscheinlich angehört haben, liefern den kirchlichen Rahmen, nicht ohne dabei, von der trügerischen Sicherheit zahlreich durchgeführter Bestattungen verleitet, in grotesk anmutende Handlungen und Aussagen zu entgleisen. Auch der Ich-Erzähler hält eine Ansprache, über deren Inhalt man allerdings nur erfährt, daß die Absicht bestand, auch auf die Opfer unter Homosexuellen und den Zeugen Jehovas hinzuweisen. Vielleicht spart der Autor, der sonst die Umstände und Details dieser Veranstaltung nüchtern bis satirisch überzeichnend festhält, seine Rede deshalb aus, weil er sich der Unzulänglichkeit dieser gutgemeinten, aber oft so hilflosen Versuche, sich des Grauens in Form von allgemein gültigen und zugleich individuell wahrhaftigen Ansprachen zu stellen, bewußt ist. Wie soll man diesen Menschen Gerechtigkeit widerfahren lassen, von denen man weder Namen noch Herkunft kennt? Wie soll man im Rahmen eines Rituals routinierter »KZ-Erinnerungskultur« angemessene Worte finden?
Der Ettersberg ist aber für den Ich-Erzähler nicht nur der Ort einstigen Leidens. Dem Goetheliebhaber, dem der Vater in seiner Kindheit Gedichte von Goethe und Schiller in Deutsch vorlas, offenbart sich an den Schauplätzen deutscher Hochkultur und nationalsozialistischer Barbarei ein weites und in seiner Disparität schreckliches und ernüchterndes Assoziationsfeld. »Die pietätlose Vermischung von Gebeinen Verstorbener ist nichts Neues« heißt es da etwa in Anspielung auf Goethes Kult mit Schillers Totenschädel, der auf Wunsch des alten Geheimrates aus dem Gemeinschaftsgrab, in das Schiller geschmissen worden war, herausgewühlt werden mußte. In der Vorstellung des Verfassers vermischen sich diese Bilder mit jenen der KZ-Wirklichkeit, gleichzeitig darüber räsonierend, was Goethe den Arbeitern zugemutet hatte und was ihm selbst davon bewußt sein mußte.
Der Erzähler ist allerdings kein verbitterter Ankläger, sondern ein sich scheinbar völlig zurücknehmender Betrachter, Fragensteller, Gesprächspartner (vor allem des eindrücklich und berührend herausgearbeiteten Direktors der Gedenkstätte) und Imagineur. Die Holocaust-Literatur ist ihm vertraut, denn er hat sie studiert, angetrieben von dem Wunsch zu erfahren, wer ihn damals aus dem Transport nach Auschwitz herausgenommen und nach Niederorschel geschickt hat, wo er dank der Unterstützung zweier Mitgefangener »anstatt vergast zu werden, Nietzsche und Pirandello zu lesen bekam«.
Während bei einem früheren Besuch der Ort »nichts von der Angst, die ich gehabt haben muß« wieder hervorzurufen vermochte, bewegen ihn nun »die Aschenreste in den letzten in Buchenwald gefundenen Urnen so sehr«, daß er in schlaflosen Nächten nach Worten sucht, die er dazu sagen könnte.
Ivanji bedient sich schließlich eines Kunstgriffes: Er verläßt die Ebene des essayistisch verfahrenden Kommentators und tut etwas, was einem Romancier üblicherweise gut ansteht – er schafft sich eine Figur, die ihm das nicht Mitteilbare zu sagen abnimmt, indem er die in den vermischten Aschenresten enthaltenen Gene zu einem einzigen, aber vielstimmigen, körperlosen Wesen zusammenwachsen läßt: einem Nebelstreifen zunächst, der sich im Laufe der Zeit zu einem überdimensionierten, sich über den Ettersberg nach Weimar hinabziehenden Aschenmenschen formiert und in dem die Stimmen der unbekannten Toten sich in einer Vielzahl von Sprachen zu einem harmonischen Chor verbinden. Einzelne dieser Stimmen treten aus dem Chor hervor – sie gehören zum Beispiel einem standhaften dänischen Polizisten, einem gläubigen Juden und einem Gottesleugner, einem Zigeuner aus dem Burgenland, einem jüdischen Geflügelhändler aus Lemberg, einem Buchhändler aus Prag – und erzählen von ihren Leiden, Qualen, Ängsten und Demütigungen. Der Erzähler, der auch in diesen Kapiteln immer wieder kommentierend eingreift, verdeutlicht dem Leser die hierarchischen Strukturen der Häftlingswelt, die besondere Bedeutung des Arbeitsdienstes als eine von den Nazischergen hin zu den Opfern selbst verlagerte Entscheidungsinstanz über Leben und Tod und läßt schließlich Goethes Kammerdiener als Teil dieses »unbestimmbaren Wesens« hervortreten und amüsante Details aus Goethes kulinarischen Vorlieben preisgeben.
Es fällt nicht leicht, über das, was Ivanji in den »Aschenmensch-Kapiteln« versucht, angemessen zu schreiben. Deutlich wird, daß es ihm nicht um Schuld, nicht um moralische Urteile geht, vielmehr um eine Sprache, eine Stimme, die dies alles zu erzählen vermag, ohne pathetisch zu werden, einen Erzählton, der das scheinbar Unvereinbare zusammenhält.
Die heikle Balance zwischen Schilderungen des Lebens im Ausnahmezustand im Lager und amüsanten, heiteren Einfällen ist Ivanji nicht immer völlig gelungen, wie sollte es auch! Neben erschütternden Sequenzen (etwa jener über das Schicksal einer italienischen Prinzessin) wirken andere Lebensgeschichten wie Illustrationen zu Forschungsergebnissen der Geschichte des KZ Buchenwald. Vor allem die ständig wiederbemühten Reflexionen über das Wesen und die Fragen nach den Möglichkeiten und Richtungen der Entwicklung des Aschenmenschen, einer golemartigen Konstruktion, belasten Ivanjis ambitioniertes Unternehmen, das zwischen Reportage, Dokumentation, Autobiografie und Fiktion changiert.
Am Ende findet Ivanji doch ein Bild von seinem Aschenmenschen: »Über dem Urnengrab steht anderthalb Kilometer groß der Aschenmensch von Buchenwald und reckt sich. Seine Gestalt ist jetzt vollendet. Die Wolke unmittelbar über seinem Kopf wirkt wie ein Hut. Sein Gesicht ist erkennbar, es hat die schmerzerfüllten Züge, die Bruno Apitz aus dem Holz der Goethe-Eiche geschnitzt hat.«

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