Die Alarmbereiten Kathrin Röggla
Material type: TextLanguage: German Publisher: Frankfurt, M. S. Fischer 2010Description: 188 S. Ill. 21 cmContent type:- Text
- ohne Hilfsmittel zu benutzen
- Band
- 9783100660619
- 830 B 22sdnb
Item type | Current library | Collection | Call number | Status | Date due | Barcode | |
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Bücher | Schulbibliothek BSZ Mistelbach ZSB | Belletristik | DR RÖG (Browse shelf(Opens below)) | Available | 10108345 |
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Quelle: www.rezensionen.at - Rainer Moritz
Hysterien, überall
Es gibt Autorinnen und Autoren, denen die Liebe des Feuilletons fast ungeteilt zufällt. Es gibt Autorinnen und Autoren, die bei Literaturkritikern gleichsam nostalgische Gefühle wecken und diese an die seligen Zeiten erinnern, als politisches Engagement oder poststrukturalistische Theoriesicherheit über die Güte von Literatur entschieden. Die 1971 geborene Kathrin Röggla zählt zu diesen »Lieblingen« der Kritik, zumal sie es versteht, ihr eigenes Schaffen in Interviews genau zu reflektieren. Ihr schmales Werk ist mit einer Fülle von Auszeichnungen (darunter der Italo-Svevo-Preis und der Anton-Wildgans-Preis) bedacht worden, und Rezensionen ihrer Werke quellen oft über von rühmenden Attributen, die den politischen und moralischen Impetus ihrer Texte herausstellen.
Auch ihr neues, mit keiner Gattungsbezeichnung versehenes Buch »die alarmbereiten« greift auf, wofür die Autorin gepriesen wird. Dankenswerterweise verzichtet Kathrin Röggla darauf, ausladende Kriminal- oder Familienromane zu schreiben, und konzentriert sich stattdessen darauf, in das Dickicht von Arbeitswelt, Ökonomie und Politik vorzudringen und so eine Art Gesamtbefindlichkeit der westlichen Welt zu skizzieren. Die sieben, zum Teil lose miteinander verbundenen Texte sezieren eine allgemeine, medial geschürte »Alarmbereitschaft«, die von einem aus Flugzeugunglücken, Naturkatastrophen, Entführungsfällen, Amokläufen, Bohrlochlecks oder Lebensmittelvergiftungen zusammengesetzten Nachrichtenstakkato gespeist wird.
Je stärker die Menschen – so Rögglas Grundansatz – in einen derartigen Untergangssog geraten, desto weniger sind sie in der Lage, dieses Feuerwerk an nicht persönlich erlebten Katastrophen zu verkraften. Und diejenigen, die zu jeder Stunde den warnenden Zeigefinger erheben, sehen sich mit einem Mal gezwungen, ihre rhetorische Strategie zu überdenken, sofern sie überhaupt darauf hoffen, wahrgenommen zu werden: »überhaupt: der ständige alarm habe zur folge, dass mir niemand mehr zuhören wolle. ob ich das wisse, dass ich die dosis runterschrauben müsse von zeit zu zeit, die alarmdosis, damit sie noch eine wirkung zeige? denn die reaktionsbereitschaft sinke, ja, sei mittlerweile gegen null gesunken.«
Sprachlich und erzählerisch konsequent drängt Kathrin Röggla ihre Figuren an den Rand, macht sie zu Echoräumen. Wo ein Ich walten und Identität ausbilden soll, herrscht ein distanzierender Ton, der jenes Ich nicht zu Wort kommen lässt. Zusätzliche Barrieren schaffen die quälende Kleinschreibung und der Konjunktiv (von Rezensenten reflexartig als Thomas-Bernhard-Verwandtschaft gedeutet), der die Redenden bzw. die, über die geredet wird, mit einer Ölschicht versieht.
Viel lässt sich anhand von Rögglas Texten diskutieren; die mediale Vermittlung von Realität bildet dabei ein Leitthema, und auch die Stereotypien, mit der bestimmte Berufsgruppen (Psychologen, Politiker) auf gesellschaftliche Störfälle reagieren, werden in diesen geschickt konstruierten Texten deutlich. Dennoch stellt sich, wenn man ein Buch nicht von vornherein wegen der darin behandelten Themen begrüßt, alsbald ein Unbehagen ein. Kathrin Röggla schöpft aus dem überlaufenden Sprachtopf unserer Gegenwart und verbindet kursierende Klischees zu neuen, mitunter erhellenden Konstruktionen. Wie wenig erzählerische Substanz freilich hinter diesen Gebilden oft steckt, zeigt sich vor allem in den beiden Erzählungen, die den Band abschließen. In »wilde jagd« zum Beispiel greift Röggla (wie in ihrem 2009 uraufgeführten Theaterstück »Die Beteiligten«) den Entführungsfall Natascha Kampusch auf und lässt erregte Stimmen – die »pseudo-psychologin« oder die »irgendwie-nachbarin« zu Wort kommen. Der Erkenntniswert, vom poetischen ganz zu schweigen, ist gering. Was auf der Bühne funktionieren mag, gerät als »Lesedrama« zu einer völlig erwartbaren Denunziation all derjenigen, die einen solchen Kriminalfall vor allem als Möglichkeit sehen, sich selbst in Szene zu setzen und Vorurteile abzusondern.
Vielleicht sollte man es einmal offen aussprechen: Kathrin Rögglas Texte, die unbestreitbare Qualitäten haben, gefallen in erster Linie denjenigen, die sich dadurch in ihren vermeintlich avancierten Anschauungen bestätigt fühlen. Andere dürften davon kaum erreicht werden.
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