Friedhof der Unschuldigen Roman Andrew Miller. Aus dem Engl. von Nikolaus Stingl

Quelle: www.rezensionen.at - Jonathan R. Werner

Ein historischer Roman über den Umgang mit Geschichte. (DR)
Der deutsche Titel des Buches "Friedhof der Unschuldigen" lässt vermuten, im Mittelpunkt des Romans stünde ein Ort. Und oberflächlich betrachtet scheint das auch so zu sein. Ein junger Ingenieur wird beauftragt, den altehrwürdigen, aber furchtbar in die Jahre und damit heruntergekommenen Friedhof der Unschuldigen inmitten der aufstrebenden Metropole Paris samt seiner genauso im Verfall begriffenen Kirche abzutragen, wegzuschaffen und einzuebnen. Der junge Mann nimmt den ungewöhnlichen Auftrag an, nicht ohne Hoffnung, damit die erste Stufe einer wie auch immer gearteten Karriereleiter zu erklimmen. Er nimmt Quartier in Sichtweite des Friedhofs und beginnt sein Werk. Um ihn sind Menschen, Schicksale, Herausforderungen, die sich mehr und mehr zu einem einzigen bunten und erzählstarken Gobelin verweben.
So weit, so gut. Allein als historischer Roman wäre das Buch schon lesenswert. Der Originaltitel des Buches "Pure" (rein) führt jedoch noch auf eine andere Ebene der Erzählung. Es geht um eine Gesellschaft, die versucht, sich von sich selbst, ihrem Erbe und ihrer Geschichte zu reinigen. Somit ist der Gegenstand des Buches nicht wie ursprünglich angenommen ein Ort, sondern eine Zeit! "Pure" ist eine Momentaufnahme der Zeit kurz vor dem großen Fegefeuer der französischen Revolution. Eben das gibt dem historischen Roman an vielen Stellen eine ungeahnte und wohltuende Tiefe.