Herr Groll und der rote Strom Roman Erwin Riess
Material type: TextLanguage: German Publisher: Salzburg Wien Müller 2010Description: 277 S. 20 cmContent type:- Text
- ohne Hilfsmittel zu benutzen
- Band
- 9783701311705
- Wien
- Gesellschaftskritik
- Wiener Gesellschaft
- Wien
- (VLB-PF)BA: Buch
- (VLB-WN)1110: Hardcover, Softcover / Belletristik/Erzählende Literatur
- (BISAC Subject Heading)TRU002000
- Erwin Riess; Herr Groll; Donau; Donauschifffahrt; Krimi; Wien
- Wien
- Rollstuhlfahrer
- Historiker
- Kriminalfall
- Belletristische Darstellung
- 830 B 22sdnb
Item type | Current library | Collection | Call number | Status | Date due | Barcode | |
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Bücher | Schulbibliothek BSZ Mistelbach ZSB | Belletristik | DR RIE (Browse shelf(Opens below)) | Available | 10068984 |
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Quelle: www.rezensionen.at - Andreas Weber
Der definitive Donau-Roman
Erwin Riess: "Herr Groll und der rote Strom"
Erwin Riess erzält in "Herr Groll und der rote Strom" eine große Geschichte von Liebe, Leidenschaft und Solidarität der Menschen am Strom - das Ende mit einem Untergangsinferno in Rot ist ein prachtvolles Bild voller Poesie. Doch alles beginnt mit der noch harmlosen Überschreitung der Donau-Hochwassermarke, der freudigen Erwartung eines "guten" Sommers am Ufer der Donau und einer jungen, halbnackten Frau, die Herr Groll sieht, als er zu seinem Freund Horst fährt, um ihn mit Fleisch aus einem Heurigenbuffet und vierzehn Doppler Wein zu versorgen. Groll bleibt stehen, zückt sein Diktaphon und hält fest: "Katrin und Innovatie talwärts, weibliche Wasserleiche auf Schotterbank. "
Horsts Fischerhütte am Ufer der Donau ist der Zweitwohnsitz des bekennenden Floridsdorfers Groll und ein Mittelpunkt dieser Geschichte, in deren Verlauf auch das noble Fluß-Domizil des Nachbarn mit seinen "Herrenabenden" ein unheilvoller Schauplatz werden soll. Flußfischer Horst gibt als herzkranker Alkoholiker nach einem intensiven Leben als Arbeiter und Kleinganove sein Bestes als Vater von Juri, der seiner in die Karibik geflüchteten Mutter sehnsuchtsvolle Briefe schreibt - am Ende der Beschreibung der leidenschaftlich mühsamen Ehe von Juris Eltern heißt es: "…und die Donau gab ihren Segen dazu."
Erwin Riess verbringt viel Zeit an diesem Strom. Er kennt viele der vorbeiziehenden Schiffe schon von weitem, hat einmal beklagt, daß die Donau in der österreichischen Literatur fast nicht vorkomme - und jetzt (endlich!) den ultimativen Donau-Roman geschrieben. In dem wir erfahren, daß "bergfahrende Schubverbände" die Kurven mehr "sägen" als fahren, was "Hochwassermanagement" heißt; wir erfahren, was eine "Überströmstrecke" ist, und bekommen erzählt, wie der Rollstuhlfahrer Groll nach einem Zusammenstoß auf dem Treppelweg am Donauufer den benommenen Dozenten aus dem Wasser gezogen und ihm das Leben gerettet hat. Die Männerfreundschaft zwischen Groll, der sich als "Vertreter der niederen Floridsdorfer Stände" (vgl. Augustin, Erste Österreichische Boulevard-Zeitung, "Wiener Ausfahrten" Nr. 142) versteht, und dem Soziologie-Dozenten aus großbürgerlichem Haus ist nach "Giordanos Auftrag" und "Der letzte Wunsch des Don Pasquale" im dritten Groll-Roman noch lange nicht beim "Du" angelangt, aber längst eine Konstante jener österreichischen Literatur, die ernst macht mit gediegener Unterhaltung auf höchstem Niveau, auf der Basis von historisch politischen Einsichten - mit herrlich amüsanten, weltliterarischen Anklängen an Don Quichotte und Sancho Pansa.
Riess entwirft in diesem Roman eine Gegenwelt zur neoliberal geprägten (österreichischen) Gegenwart, in deren Zentrum Grolls Lebens- und Finanzberatungs-Agentur steht. Der Inhaber lernte Finanztechnik beim Ökonomiereferenten der Floridsdorfer KPÖ, der seine "Krisenstudien" auf der Krim und in Kuba betrieb. Groll verkehrt mit dem legendären Floridsdorfer Kommunisten Wenzel Schebsta und ordiniert hinter einem Paravent im Gastgarten des Heurigen, in dem seine Freundin Anita nach schrecklicher (Mißbrauchs )Kindheit und Jugend unter Grolls Aufsicht (an)schafft - eine wahrhaft offene Beziehung für weit über ehelichen Alltag hinaus Fortgeschrittene, nur kleinbürgerlich Bornierte würden Groll als ihren Zuhälter bezeichnen. Der kümmert sich darum, daß Horsts Sohn Juri die Schule von innen sieht, er berät Drogensüchtige, verwitwete Kleinunternehmer in Wirtschaftsangelegenheiten und bei der Brautschau, den Dozenten, der sich in Anita verliebt, und er läßt sich von dessen Mutter, der Fabrikantin Madame Nostitz, für einen Spezialauftrag engagieren. Dabei spinnt der Rollstuhlfahrer in klassisch anmutender Robin Hood-Umverteilungsmanier ein Netzt aus Intrigen und Erpressung zum Besten der Verlierer, die ihn in größter Not aufgesucht haben.
Man würde diesem höchst spannenden, exzellent komponierten Roman mit Thriller-Qualität nichts Gutes tun, hier allzu viel über die packende Story zu verraten, in der sich ein Nobelwinzer, ein Primar und ein Sektionschef im Finanzministerium mit ihren "Herrenabenden" in ein tödliches Desaster verstricken, während die Donau steigt und in einer finalen Katastrophe über die Ufer tritt - rot, weil ein Schiff, das Ammonsalpeterfässer zur Sprengstoffherstellung geschmuggelt hat, unterging und die chemische Reaktion das Wasser färbte.
Erwin Riess erzählt von Menschlichkeit ohne Klischees und Fernsehfilm-Sentimentalität. Das Buch hat viel von einem Schelmenroman, in dem einer von unten die Gesellschaft der Anständigen, Ehrlichen und Fleißigen demaskiert. Die Dialoge sind von einer Ironie und einem Lakonismus, wie man das in dieser Qualität nur von Großmeister Raymond Chandler kennt. Die Protagonisten sind gebrochene Menschen, die mit viel Spaß am Leben ihre Würde (zurück)gewinnen. Sie können sich aufeinander verlassen, auch wenn sie einander auf mehr als eine harte Probe stellen. Riess läßt keinen Zweifel daran, daß er die Welt und seine Figuren liebt. Sie sind seine Freunde, haben ihre verrückten, traurigen oder komischen Geschichten und ihre Fehler. Manche ihrer Schwächen sind gar nicht so klein, aber sie erleben eine Freundschaft, die sie überleben läßt - auch wenn mitunter jene elementar existentielle Einsamkeit spürbar wird, die Georg Lukács in "Die Theorie des Romans" mit "transzendentaler Obdachlosigkeit" gemeint haben könnte.
Beispielhaft für diesen Roman ist eine Stelle, in der der Rollstuhlfahrer Groll auf der Suche nach seiner Freundin Anita erfährt, daß diese nicht zum Dienst gekommen ist und ihm einen Brief hinterlassen hat: "Als ich das hörte, wurden mir die Knie weich und ich war froh, daß ich bereits saß. Mit zitternden Fingern öffnete ich den Brief und las: Liebster Groll!…"
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