TY - BOOK AU - Gürtler,Christa AU - Schmid-Bortenschlager,Sigrid TI - Eigensinn und Widerstand: Schriftstellerinnen der Habsburgermonarchie SN - 9783800037063 PY - 1998/// CY - Wien PB - Ueberreuter KW - Literaturwissenschaft KW - Biographie KW - Habsburgermonarchie KW - Pfeiffer, Ida KW - Paoli, Betty KW - Ebner-Eschenbach, Marie von KW - Kautsky, Minna KW - Christen, Ada KW - Suttner, Berta von KW - Sacher-Masoch, Wanda von KW - Troll-Borostyáni, Irma von KW - Marriot, Emil KW - Druskowitz, Helene von KW - Mayreder, Rosa KW - Janitschek, Maria KW - Asenijeff, Elsa KW - Popp, Adelheid KW - Jerusalem, Else KW - Frau KW - Literatur KW - Schriftstellerinnen KW - Schriftstellerin KW - Österreich-Ungarn KW - gnd KW - Aufsatzsammlung KW - gnd-content KW - Anthologie N1 - Literaturverz. S. 247 - 267 N2 - Quelle: www.rezensionen.at - Linda Stift "Er bleibt ein Jude" / Zu den Prosatexten von Herbert Kuhner Mit dem originellen Ehrentitel »Der größte Lyriker Österreichs« soll Franz Grillparzer vor rund 150 Jahren die Schriftstellerin Betty Paoli ausgezeichnet haben. Sie teilt damit das Schicksal vieler Autorinnen ihrer Zeit, nämlich als Wundertier angestaunt worden zu sein. Jedoch beginnt mit Paoli erstmals eine Ära, in der Frauen mit Nachdruck und Erfolg auf den Literaturmarkt der österreichisch-ungarischen Monarchie drängen. Die beiden Salzburger Germanistinnen Christa Gürtler und Sigrid Schmid-Bortenschlager haben ein Buch über 15 Schriftstellerinnen verfaßt. Die Auswahl bezeichnet einen Querschnitt aus den literarischen und politischen Strömungen der Zeit: »Von der Reiseliteratur bis zur Autobiographie einer Arbeiterin, von den Gedichten bis zum Kurzdrama, vom Bestsellerroman bis zum Essay.« Bis auf die Proletarierin Adelheid Popp stammen alle Autorinnen aus Aristokratie oder Bürgertum. Der programmatische Titel, Eigensinn und Widerstand, illustriert die Bemühungen der intellektuellen Frau des 19. Jahrhunderts, als gleichwertig anerkannt zu werden – unter dem Motto »Kampf statt Abwarten«. Jedem Porträt ist ein Textausschnitt angehängt. Das lehrreiche Ziel, »die literarischen Leistungen der hier vorgestellten Autorinnen kurz zu umreißen und sie in den Kontext der österreichischen Literatur einzuordnen«, wird zweifellos erreicht. Gürtler und Schmid-Bortenschlager führen damit die Pionierarbeit der vor ca. 25 Jahren einsetzenden feministischen Literaturforschung, zu der sie selbst schon einiges beigetragen haben, weiter. Die porträtierten Autorinnen kommen in Textausschnitten zu Wort, ihr Werdegang wird überblicksmäßig skizziert, genauso der historische Hintergrund. Die bekannte- sten – Marie von Ebner-Eschenbach, Bertha von Suttner und Rosa Mayreder (die Dame vom 500-Schilling-Schein) – sind auch heute noch ein Begriff, während die weniger prominenten, zu ihren Lebzeiten durchwegs berühmte Persönlichkeiten, allesamt in Vergessenheit geraten sind. Selbst die einstige Bestseller-Autorin Else Jerusalem kennt heute niemand mehr. Die gebildete Autorin des 19. Jahrhunderts parliert französisch, spielt Klavier, haßt das alles und muß sich profunderes Wissen durch autodidaktisches Studium selbst aneignen. Das hat Auswirkung auf die literarische Produktion: mit Essays, Rezensionen und Sachtexten versucht sie sich einerseits im öffentlichen Diskurs zu etablieren und gesellschaftliche Veränderungen einzufordern, andererseits ist dies eine wichtige Geldquelle. Nicht alle Autorinnen waren durch Ehemänner finanziell abgesichert. Der Kampf um Anerkennung schiebt sich nur allzu oft zwischen die Autorinnen und ihre Werke. Solange der eigene Standort nicht klar umrissen, sondern gefährdet ist, gilt es, Aufklärungsarbeit zu leisten. Denn die gesellschaftliche Stellung der bürgerlichen Frau basiert auf der »Ehe, als einzig angemessene, sozial akzeptierte Versorgungs- und Lebensperspektive« (Heidi Rosenbaum). So ist ein Gutteil der literarischen Produktion Tendenz- oder Trivialliteratur. Der gebetsmühlenartig geäußerte Vorwurf der Trivialität wird durch die Gewichtung der Inhalte entkräftet. Minna Kautsky – die »rote Marlitt« – verwendete bewußt konventionelle Formen, um mit sozialistischen Ideen an ein breites Publikum heranzukommen. Auch die Feministin Irma von Troll-Borost´yani und Bertha von Suttner wagten diese Gratwanderung, um volksbildend zu wirken. Ida Pfeiffer, Europas größte Reiseschriftstellerin, legte hingegen Wert auf ihren Status als Beobachterin und Dokumentarin. Noch im 18. Jahrhundert (1797) geboren, macht sie sich im Alter von 46 Jahren – nachdem sie »ihre Pflichten als Ehefrau und Mutter von zwei Söhnen erfüllt hat« – allein auf ihre erste Reise in die arabische Welt. Sie kennt kaum Berührungsängste. Allerdings fühlt sie sich im orientalischen Harem unbehaglich und verläßt ihn nach einer Stunde. Die Haremsdamen wiederum finden ihre kurzgeschnittenen Haare und ihre »Magerkeit« beunruhigend. Ida Pfeiffer konstatiert: »Im ganzen mögen sie glücklicher sein als wir Europäerinnen, dies schließe ich teils aus ihrer Beleibtheit, teils aus ihren ruhigen Gesichtszügen.« Pfeiffers erstaunliche Reiseberichte (Skandinavien, Amerika, China, Indien, Persien, Tahiti, Indonesien) bedienen auch den Lesebedarf gelangweilter bürgerlicher Damen – durch den nüchternen Dokumentarstil werden sie zum Kassenschlager. Ihre Verwandtschaft verlangte jedoch, daß sie zunächst unter Pseudonym (Reise einer Wienerin in das Heilige Land) veröffentlichte. Damit steht sie nicht allein da: viele Frauen wählten Künstlernamen, oft männliche, um in der Literatur besser Fuß zu fassen oder um ihre Umgebung zu schonen. Wanda von Sacher-Masoch, geborene Aurora Rümelin, die unbekannte bessere Hälfte des Urmasochisten, brauchte zehn Jahre, um sich von dem Mann zu trennen, den sie sich durch talentiertes Briefeschreiben geangelt hatte. Die verarmte Bürgerliche gab sich Leopold von Sacher-Masoch gegenüber als Wanda von Dunajew, als seine Venus im Pelz, aus. Gewaltiges Interesse der männlichen Seite führte postwendend zur Heirat. Bald machte ihr das Rollenspiel keinen Spaß mehr, noch dazu verlangte Sacher-Masoch von ihr, in ihrer Literatur ausschließlich »Herrin und Sklave« zu thematisieren. »Meine Arbeit sollte meinem Manne zur Freude und zum Vergnügen werden, deshalb mußten es grausame Geschichten sein. Um mich in die richtige Stimmung zu bringen, war es nötig, daß ich eine Pelzjacke anzog und eine große Hundepeitsche vor mir auf dem Tisch lag.« Ihre schriftstellerische Arbeit steht in enger Wechselbeziehung mit der seinen – oft ist die Autorenschaft gar nicht festzustellen. In der Literaturgeschichte übriggeblieben ist allerdings sein Name. Auch Helene von Druskowitz, Österreichs erste Akademikerin (Promotion in Zürich, 1878), ist längst vergessen. Ihre Nietzsche-Kritik fiel nicht auf fruchtbaren Boden: »Auch sollte sie einmal aufhören, den Professor Nietzsche öffentlich zu züchtigen, ihm die Rute zu geben. Man wird sagen, sie hätte ihn gerne geheiratet.« (C. F. Meyer) Und das, obwohl sie sich offen zur Homosexualität bekannte. Man darf Gürtler und Schmid-Bortenschlager nicht vorwerfen, ein populärwissenschaftliches Werk verfaßt zu haben, denn das wollten sie und das soll Eigensinn und Widerstand im besten Sinne auch sein. Nur wäre eine exaktere Abstimmung zwischen den Porträts manchmal günstig gewesen: Informationen wiederholen sich, vieles wird doppelt und mehrfach erwähnt. Das hinterläßt beim Leser den unangenehmen Eindruck, daß manche Dinge richtiggehend eingetrichtert werden sollen. Davon abgesehen ist es eine gelungene Zusammenstellung, die Lust auf mehr macht: nämlich auf die Texte der porträtierten Autorinnen. Vielleicht könnte das Buch ja auch als Anstoß dienen, manches vergessene Werk neu herauszugeben UR - https://d-nb.info/953555089/04 ER -