Am Tiefpunkt genial Roman
Karoline Cvancara
- 1. Auflage
- 258 Seiten 22 cm
Quelle: www.rezensionen.at -
Lebensentwürfe zeigen ihre wahre Größe erst, wenn sie am Nullpunkt angekommen sind. Erst wenn die Helden ihrer Ideen-Verkleidungen beraubt sind, können sie auf ihre tatsächliche Überlebenskraft zugreifen. Karoline Cvancara ist mit dem Roman "Am Tiefpunkt genial" ein perfektes Kammerstück aus dem Wiener Bobo-Grätzl Josefstadt gelungen. Auf engstem Raum ist alles vorhanden, was man zum Glücklichsein braucht. An allen Ecken und Enden sind diese kleinen Geschäfte, die sich unter der Globalisierungshaube wegducken und Wärme und Menschlichkeit verbreiten. Die Griechen und Italiener und sonstigen Lokale sind alle "klein und angenehm", man isst in kleinen Portionen und trinkt dazu in kleinen Schlucken, bis man dann doch den großen Fetzen ausgefasst hat. Der Ich-Erzähler Paul ist in einem angenehmen Erlebnis-Sumpf angekommen. Das Studium ist unvollendet, weil er auf dem Weg zu den Vorlesungen in einer "kleinen Buchhandlung" hängengeblieben ist, bei der er nun schon seit elf Jahren arbeitet. Die Wohnung ist etwas zu groß, aber angenehm, weil man alles zu Fuß erreichen kann. Die Freunde tauchen in angenehmen Dosen auf, helfen, wenn etwas schräg liegt, und verschwinden auch wieder diskret. "Alles im Leben ist ein willkommener Spaß, nicht zu anstrengend und nicht zu tiefschürfend." (66) Da packt eines Tages die Freundin ihre Sachen und zieht vor den Augen des geschockten Paul zu dessen Freund, weil dieser einen Ferrari hat. Und nicht genug, der Inhaber des kleinen Buchladens erklärt, dass die Geschäfte schlecht gehen und er aufhört und seine Knochen in Griechenland an die Sonne legt. Paul ist im Krisenmodus und tut einmal das, was er am besten kann, saufen und Musik hören. Wie in einer jenseitigen Blues-Ballade zieht er durch das Grätzl, arbeitsunfähig, triefend vor Selbstmitleid und völlig verstunken. Wenn das Unheil überraschend kommt, kommt wahrscheinlich auch die Rettung überraschend. Paul deckt sich mit dem Fantasy-Autor Terry Pratchett ein, dessen Scheibenweltromane die Rettung bedeuten könnten. Allmählich kriechen die Freunde wieder hervor und bieten Zukunftsmusik an. Der Ferrari-Freund nimmt ihn auf eine kriminelle Tour mit, wobei sie eine Corvette stehlen. Alt-Freundin Klarissa aktiviert ihre Hormone und bietet eine schöne Freundschaft an, Vater wäre trotz des abgebrochenen Studiums bereit, ihn in der Kanzlei aufzunehmen. Und der Buchhändler zeigt netten Anstand und überlässt Paul das Geschäft zu beinahe geschenkten Bedingungen. Alles bleibt Bobo, alles bleibt im Bezirk. Karoline Cvancara schafft eine fast unerträglich schöne Idylle, denn selbst das Leid ist ein Klacks gegen das, was man in anderen Bezirken durchmacht. Die Helden agieren wie auf einem Landgut in einem Tschechow-Stück, nur dass sie nicht nach Moskau wollen, weil sie ja schon in Wien sind. Und das Bedrückende an dieser Idylle ist, dass sie so wahr ist, ein ganzer Bezirk ist voll damit. Wie in der Literatur üblich, entstehen die wahren Narrative durch Aussparung und Ergänzung. Im Falle des genialen Tiefpunktes denke man an einen Helden der Migration, der soeben sein Leben gerettet hat und nun auf die Helden des achten Bezirkes trifft um sich zu integrieren. - Ein beunruhigend beglückender Roman. Helmuth Schönauer
(Produktform)Hardback Belletristik Gegenwartsliteratur Roman (VLB-WN)1110: Hardcover, Softcover / Belletristik/Erzählende Literatur (DDC-Sachgruppen der Deutschen Nationalbibliografie)830 (DDC-Sachgruppen der Deutschen Nationalbibliografie)B