Anderson, Laurie Halse 1961-

Wintermädchen Laurie Halse Anderson. Aus dem Amerikan. von Salah Naoura - 317 S. 22 cm

Quelle: www.rezensionen.at - Nachhaltigkeit

Als ich noch ein richtiges Mädchen war, verabreichte mir meine Mutter löffelweise Luftschlösser. Das scheint für die Ich-Erzählerin Lia lange her zu sein: Sie ist magersüchtig und fühlt sich mitschuldig am Tod ihrer ehemals besten, komplizenähnlichen Freundin. Seit diesem Einschnitt hält sie noch stärker am Hunger fest und verliert sich zunehmend in ihrer verzerrten Wahrnehmung. In literarischer Gestaltung zwischen Poesie und Wahnsinn vermittelt Lia den Wunsch nach totaler Kontrolle: Impulsive Selbstbeschimpfungen, Eigenzensur (Teile werden immer wieder durchgestrichen) und magische Beschwörungsformeln durchziehen diesen sprachgewaltigen Text über ein Mädchen, das lange gegen sich selbst, am Ende aber für einen Hoffnungsschimmer kämpft.
*STUBE*

Als die 18-jährige Ich-Erzählerin Lia erfährt, dass ihre Freundin Cassie tot in einem Motelzimmer aufgefunden wurde, scheint es nach außen, als wäre ihr Essverhalten nach einer Therapie wieder im Normalbereich. Doch Cassies Tod und die damit verbundenen Schuldgefühle führen dazu, dass Lia nach und nach in eine von ihrer Magersucht geprägte Welt abgleitet.
Das realistisch gezeichnete Setting einer amerikanischen Familie wird zunehmend mit einer mystisch aufgeladenen Stimmung kontrastiert, in der Lia immer öfter von der verstorbenen Freundin heimgesucht wird. Im Kontrast zu Lias zunehmendem Verfall steht ihre exakt geplante Vorgehensweise, ihren Zustand zu verbergen: In den Bademantelstoff eingenähte Münzen täuschen höheres Gewicht vor, heimlich gehortete Medikamentenvorräte helfen ihr, nach außen hin ausgeglichen zu wirken. Ihre konstante Selbstzensur wird mit ungewöhnlichen Stilmitteln umgesetzt, die weit über die Sprache im engeren Sinn hinausgehen: Durchstreichungen, Wiederholungen und leere Seiten spiegeln den unaufhörlichen Versuch, die eigenen Gedanken, den eigenen Hunger unter Kontrolle zu bringen. Lia steht kurz davor, sich selbst zu Tode zu bringen - bis eine letzte Konfrontation mit Cassie die Entscheidung bewirkt, die Verantwortung für den eigenen Körper wieder zu übernehmen.
Selbstzerstörung und -heilung wird hier durch radikale Sprachbilder dargestellt: Die Autorin recherchierte sehr genau, dennoch legt sie kein Problembuch zum Thema Essstörungen vor, sondern ein in seiner Sprachgewalt beeindruckendes literarisches Werk.

-Lektorix-
Ich brauche keinen Muffin (410), ich will weder eine Orange (75) noch Toast (87), und von Waffeln (180) kriege ich Erstickungsanfälle." Als die 18-jährige Ich-Erzählerin Lia erfährt, dass Cassie, ihre ehemals beste Freundin, tot in einem Motelzimmer aufgefunden wurde, scheint es nach außen, als wäre ihr Essverhalten nach einer stationären Therapie wieder im Normalbereich. Doch Cassies Tod und die damit verbundenen Schuldgefühle führen dazu, dass Lia nach und nach in eine von ihrer Magersucht geprägt Welt abgleitet. Das realistisch gezeichnete Setting einer amerikanischen Upperclass-Familie wird zunehmend mit einer mystisch aufgeladenen Stimmung kontrastiert, in der Lia immer öfter von der verstorbenen Freundin heimgesucht wird – nach und nach wird den Lesenden klar, dass die beiden in einem ständigen Wettkampf miteinander standen, wer dünner werden könne. Im Kontrast zu Lias zunehmendem psychischen und physischen Verfall steht ihre exakt geplante strategische Vorgehensweise, ihren Zustand vor ihrer Umwelt zu verbergen: In den Bademantelstoff eingenähte Münzen täuschen ein höheres Gewicht vor, heimlich gehortete Vorräte an Abführmitteln und Psychopharmaka helfen ihr, nach außen hin ausgeglichen zu wirken. Die für Essstörungen so charakteristische konstante Selbstzensur wird literarisch mit ungewöhnlichen Stilmitteln umgesetzt, die weit über die Sprache im engeren Sinn hinausgehen: Zahlreiche Durchstreichungen, "Nichts funktioniert nie funktioniert was es frisst mich einfach von weiter von innen auf", Wiederholungen und leere Seiten spiegeln den unaufhörlichen Versuch, die eigenen Gedanken, den eigenen Hunger unter Kontrolle zu bringen. Lia steht kurz vor einem tödlichen Ende – bis eine letzte Konfrontation mit Cassie eine Entscheidung bewirkt: "Es gibt kein magischen Heilmittel, nichts, was all das für immer verschwinden lässt. Es gibt nur kleine Schritte nach vorn. Ein leichterer Tag, ein unerwartetes Lachen, ein Spiegel, der keine Rolle mehr spielt." Wie schon in ihrem Debütroman „Sprich“ (2004 mit Kristen Stewart in der Hauptrolle verfilmt) versteht es die Autorin, von deren umfangreichem literarischen Œuvre leider erst zwei Bücher ins Deutsche übersetzt wurden, eine seelische Ausnahmesituation durch radikale Sprachbilder darzustellen. Für ihren eindringlichen Roman recherchierte sie sehr genau. Dennoch legt sie hier kein Problembuch zum Thema Essstörungen vor, sondern ein in seiner Sprachgewalt beeindruckendes literarisches Werk.
*STUBE* Kathrin Wexberg

9783473353217 Pp. : EUR 16.95 (DE), EUR 17.50 (AT), sfr 32.70 (freier Pr.)

9783473353217

10,A33 dnb

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