TY - BOOK AU - Peschka,Karin TI - Watschenmann: Roman SN - 9783701312207 U1 - 830B 23sdnb PY - 2014///] CY - Salzburg PB - Otto Müller Verlag KW - Wien 1954 KW - Nachkriegsjahre KW - Nachkriegszeit KW - Gewalt KW - Wien KW - gnd KW - (Produktform)Book KW - (VLB-WN)1110: Hardcover, Softcover / Belletristik/Erzählende Literatur KW - (BISAC Subject Heading)FIC014000 KW - Verdrängung KW - Trauma KW - Fünfziger Jahre KW - Hotlist KW - Hotlist 2014 KW - Fiktionale Darstellung KW - gnd-content KW - Erzählende Literatur KW - gatbeg KW - Historische Romane und Erzählungen N2 - Quelle: www.rezensionen.at - Evelyne Polt-Heinzl Von der Zerstörung zur Zivilisation Karin Peschkas Romandebüt "Watschenmann" Kaum ein Verlag, der nicht pro Saison mindestens ein Debüt als Sensation des Jahres anpreist. Schließlich kommen die Leitvorstellungen für alle Bereiche des Lebens seit dem neoliberalen Turn von der Wirtschaft her, und da scheint Innovation die zentrale Triebfeder für das Wachs­tumscredo des Systems. Auch Karin Peschkas Roman Watschenmann ist ein Debüt, aber hier ist alles ein wenig anders. Das beginnt beim Verlag, Otto Müller ist nicht bekannt für besondere Effekthascherei. Selbst der Klappentext ist mehr informativ als marktschreierisch, er spricht von "ungeheurer Sprachwucht", und das ist ein guter Begriff für Peschkas Zugriff auf ihre Romanwelt. Prinzipiell anders ist auch das Thema. Nichts Zeitgeistiges, keine traumatischen Kindheitserinnerungen oder ungleichen Jugendfreundschaften in der allerjüngsten Vergangenheit, keine urbanen Stadtflaneure auf der Suche nach Sinn und Halt quer durch die trendigen Locations der Szene. Zwar führt auch Karin Peschka in die Metropole Wien, aber sie wählt eine düstere Epoche, die noch nicht so weit entfernt ist, dass sie schon historisch abgelegt wäre, aber doch so weit, dass sie mit der Lebenszeit der 1967 in Eferding geborenen Autorin nur noch indirekt verbunden ist. Freilich wirken diese verdeckten Langzeitfolgen wesentlich verhängnisvoller in die Lebensgeschichten der nachkommenden Generationen hinein, als man lange wahrhaben wollte. Neun Monate des Jahres 1954 strukturieren die Handlung. Die Ruinen sind noch nicht vollständig beseitigt, aber hinter Lattenzäunen verborgen, und der Abzug der Alliierten ist schon in Griffweite. Doch die angesagte Wiederaufbaueuphorie überfordert die Menschen: "Allen steht ein Aufschwung zu, und wird sich nicht hinauf geschwungen, dann zumindest hinüber oder hinunter." Und so bemüht sich alles krampfhaft um das Ankommen im Besseren und parkt die erlebten Schrecken verbissen unter jeder wiedererlangten Bequemlichkeit und unter jedes neu angeschaffte Stück Hausrat. In den Blick kommen etwa ein Dutzend Figuren, die besonders schlechte Karten haben, um aus den Fatalitäten der Vergangenheit herauszukommen. Sie sind psychisch zerstört, oft auch physisch, hoffen oder warten auf etwas, das nie eintreffen wird, greifen bewusst oder unbewusst zu Überlebensstrate­gien, die eine Rückkehr zu irgendeiner Art von akzeptierter Normalität versperren. Das Ganze spielt in einem kleinen Grätzel im 15. Bezirk - die meisten Figuren kennen einander, ohne allzu viel von einander zu wissen, die jeweiligen Verwicklungen in das NS-System aber sind bekannt. Peschka hat keinen politischen Roman geschrieben, in dem die schuldhaft Verstrickten von den Opfern zu trennen wären. Zerstört ist der Lichterl-Sigi, ein ehemaliger SSler, der sich nach der Befreiung vier Jahre lang in einer Gruft versteckt hielt und einen Kerzen-Tick davon behalten hat, nicht weniger als die beiden kriegsblinden Brüder Peter und Paul, lustlos betreut von ihrer Schwester Helene, die zumindest einer der beiden noch nach Kräften quält und prügelt, schließlich ist auch ein blinder Mann noch ein Mann. Zerstört ist auch die Pritschlerin, der 1945, als die Bombenschäden die Wasserversorgung lahmlegten, alle Blumen in ihrem Laden verdorrt sind, weshalb sie überall Wasser und Gefäße an sich zu bringen versucht. Noch für ihren Wahn hat sie sich dabei das kleinere Unglück gewählt - denn wahnsinnig geworden ist sie eigentlich, als ihr in den Wirren der Befreiungstage ihre Zwillinge weggekommen sind. Alle diese Vorgeschichten erfahren wir erst allmählich, vieles mehr angedeutet und unautorisiert aus dem Klatsch der anderen. Die Lackmus-Figur des Romans ist Heinrich, ein schmächtiger Jugendlicher und insofern ein Opfer des NS-Regimes, als sein strammer Arzt-Vater, er dürfte dann als Nervenarzt seine Pflicht am Spiegelgrund erfüllt haben, den schwächlichen Sohn schon als Kleinkind erfolgreich gebrochen hat. Als Sühne für die Schuld seines Vaters, aber auch seiner Gewohnheit aus Kindheitstagen folgend, definiert sich Heinrich als "Watschenmann". Denn er, der das Verhalten der Menschen immer schon sehr genau beobachtet hat, "glaubt den anderen den Frieden nicht. Späht hinein in ihre Seelen, wo Gewitter leuchten, die man nicht hört". Auf die Idee gebracht hat ihn unbewusst sein väterlicher Freund Dragan. "Neun Jahre sind keine Zeit. Die Leute tragen lauter kleine Weltkriege mit sich herum. … Inwendig, da sind auch Trümmer. Und Leichen", sagt er einmal, und daraus formuliert Heinrich seine Mission: Er provoziert prekäre Situationen, um die anderen zum Zuschlagen zu bringen, auf dass der Rest des Kriegswurms prügelnd aus ihnen ausfahren möge. Man könnte gegen den Roman einwenden, dass nicht nur die Zahl der Gewaltakte endlos ist, auch die Akte der Solidarität sind dicht gesät und die Verwobenheit der Figuren ist vielleicht unnötig eng. Die Kraft des Buches aber liegt in der Darstellung und im bildhaften Aufbau der einzelnen Szenen, allen voran die kleinen Aufläufe mit Gewalteskalationen. Die grammatisch leicht abgerissenen Sätze machen die Verlorenheit der Menschen im Sprachrhythmus spürbar und in den Köpfen ihrer Figuren lässt die Autorin Bilder entstehen, die das Fortwirken der NS-Vergangenheit ausstellen. Als Heinrich mit einem Mann zusammenstößt, der einen vollen Bierkrug vom Wirtshaus gegenüber nach Hause trägt, der hinunterfällt und zerbricht, scheint eine der üblichen Prügelszenen zu folgen, denn Heinrich sieht sofort, der Mann "hat noch Krieg in sich". Aber da taucht der Lodige auf - gut gekleidet, kein Verlierer des Umbruchs, vielleicht ein alter Austrofaschist - und versucht den erregten Mann zu beruhigen. Der jammert, dass der Krug ein Erbstück seiner Frau sei und das Ganze also doppelt und dreifach schlimm. Vielleicht hofft er auf eine kleine Entschädigung von dem gutgekleideten Fremden, der dem Jungen zu Hilfe gekommen ist. Doch der Lodige hebt eine Scherbe auf, betrachtet das Muster und sagt: "Soso, ein Erbstück … Also dann ist sie …". Worauf "dem Biermann die Farb' aus dem Gesicht geronnen ist", vergebens will er vom Lodigen die Scherbe zurückhaben, dreht sich dann um und geht, "ohne Krug und ohne Bier". Es war ein Krug, wie er für das "Pascha-Fest" verwendet wurde, erklärt ihm später Dragan, also wohl kein Erb-, sondern eher ein Fundstück in der arisierten Wohnung. Es sind zwei Biotope, in denen sich die Handlung konzentriert. Das eine ist ein Hinterhofschuppen mit Tischlerwerkstatt. Hier wartet Lydia noch immer auf die Rückkehr ihres ­Schusters, der ihr, der einstigen Prostituierten, die Ehe versprach, bevor er einrücken musste. An ihrer Seite lebt der Serbe Dragan, der sein Geld als Amateurboxer verdient und dessen Vorgeschichte völlig im Dunkeln bleibt. Beide Figuren sind von archaischer Stärke und Authentizität. Und sie nehmen eines Tages Heinrich bei sich auf, der zunehmend in seine Parallelwelt abdriftet und immer wieder irgendwo halb totgeprügelt aufgesammelt werden muss. Das zweite Biotop ist die Wohnung der "drei Grazien", die bei ihrem ersten Auftritt wie in Bruegels Blindensturz in den Hof stolpern: Helene mit den beiden blinden Brüdern. An diesen beiden Orten reichert sich im Lauf der Zeit das Gute gewissermaßen an. Das hat auch mit den beiden Figuren zu tun, die gleichsam von außen dazustoßen: Die eine ist der grundgute amerikanische GI Elmer, der Heinrich in einer der Gewaltszenen beispringt und sich dann in Helene verliebt, die andere ist eine Alte aus dem Park, die "Maridi-Tant", deren segensreiches Regime nach und nach selbst den gewaltbereiten der blinden Brüder zähmt. Die sprachlich dichtesten Szenen erwachsen oft aus Heinrichs Fähigkeit, Menschen in ihrem Körperausdruck nachzustellen, wie ein Spiegel oder eine Leinwand. Seine Mimikry stellt ihre verborgenen Befindlichkeiten in den Raum und macht sie damit zumindest verstehbar. Vor allem aber sieht er einfach genau hin, etwa auf den GI, der ihn fragt, ob Helene eine Seife als Geschenk von ihm annehmen würde. "Langsam stiefelt Elmer davon, schleppt die Dose, als wäre sie zehn Kilo schwer. Das ist sein Herz, denkt Heinrich, das so viel wiegt." Und wenn Heinrich ein spielendes Kind beobachtet, "sieht" er: Wenn die Mutter mit ihren Alpträumen vom Krieg her "aufwacht vom eigenen Geschrei, wacht auch der Säugling auf und saugt die Angst der Mutter ein mit ihrer Milch. So füttert es sich durch, das Böse, ein Bandwurm, der kein Ende hat." Karin Peschkas Debüt ist kein Roman über die Aufarbeitung der NS-Gräuel, oder zumindest nicht hauptsächlich. Es ist eine Analyse des schwierigen und langwierigen Prozesses, den die Menschen und die gesamte Gesellschaft durchlaufen müssen, um nach entfesselter Brutalität in Krieg und Diktatur eine Rückkehr zu menschlichen oder doch zivilisierten Verhaltensformen zu schaffen ER -