Doktor Josefs Schönste Roman
Zyta Rudzka. Aus dem Poln. von Esther Kinsky
- 1. Aufl.
- 315 S. 21 cm
- Meridiane Bd. 124 .
- Meridiane Bd. 124 .
Quelle: www.rezensionen.at - Maria Schmuckermair
Das Unfassbare angemessen in Worte zu kleiden - was schier unmöglich scheint, gelingt diesem außergewöhnlichen Roman. (DR)
Zwei Schwestern überleben das KZ, weil ihr Vater sie geistesgegenwärtig bei der Selektion an der Rampe von Auschwitz als Zwillinge ausgibt, wohl wissend, dass Dr. Mengele für seine medizinischen Experimente solche Kinder sucht. Nun, etwa sechs Jahrzehnte später, sind Czechna und Leokadia Insassinnen eines Altersheimes, das - wie sich im Laufe des Romans dem Leser erschließt - vorwiegend von ehemaligen KZ-Häftlingen bewohnt wird. Aus den (scheinbar) banalen Alltagsgesprächen dieser Menschen mit dem schweren Gepäck ihres Schicksals ergibt sich ein vielstimmiger Chor, der nur gelegentlich, unverhofft in knappen Nebensätzen oder bloß unterschwellig auf die erlittene Pein und ihre Nachwirkung bis ins hohe Alter verweist. Czechna war "Doktor Josefs Schönste" (mit Doktor Josef ist der sadistische Lagerarzt Mengele gemeint) und hält sich immer noch mit ihrem unbeugsamen Stolz aufrecht. Den Alltag in einem Altersheim ungeschönt, ja drastisch zu schildern und mit dem Holocaust-Thema zu verknüpfen, erfordert großen Mut und besondere Kompetenz. Beides besitzt die studierte Psychotherapeutin Zyta Rudzka. Der aus dem Polnischen übersetzte Roman ist stilistisch spröde, inhaltlich voller Tiefgang und absolut wert, dass man sich auf ihn einlässt.