˜Derœ Tanz ums Ich Risiken und Nebenwirkungen der Psychologie
Jens Bergmann
- Erste Auflage
- 239 Seiten 22 cm
Quelle: www.rezensionen.at - Ingrid Kainzner
Scharfe Kritik eines Psychologen an den Methoden der Psychologie und ihren Verheißungen. (PP) Das Ziel, sich selbst zu verwirklichen, ist in der westlichen Gesellschaft ein so gut wie unangefochtenes Dogma. Die Psychologie durchdringt praktisch alle Lebensbereiche und trifft mit ihren Heilsversprechen auf ein gewaltiges Echo. Nebenbei floriert dadurch eine ganze Industrie. So erfreulich es ist, dass dem psychisch Leidenden ein großes Angebot an Therapien zur Verfügung steht, bedenklich erscheint, dass auch ganz normale Krisen oder Herausforderungen, deren Bewältigung das eigentliche Erwachsensein ausmachen, problematisiert werden. Das Bedürfnis, über jede Seelenregung mit jemandem sprechen zu müssen, hat ein beängstigendes Ausmaß angenommen. Die Medien fördern diesen "Tanz ums Ich" nach Kräften. Jens Bergmann geht mit seinen Kollegen hart ins Gericht und zerpflückt den behaupteten Anspruch auf Wissenschaftlichkeit vieler Therapien und Methoden anhand kaum widerlegbarer Beispiele. Sein fesselnder Abriss der Entstehungsgeschichte der Psychologie zeigt, dass schon mit der Erfindung des Intelligenzquotienten ein verhängnisvoller Weg beschritten wurde. William Stern, sein Erfinder, wurde selbst von Skrupeln über die Implikationen des Tests geplagt, der ja letztlich nur eine Momentaufnahme ist. Doch die Euphorie, menschliches Verhalten messen und damit auch bewerten zu können, war (und ist) nicht zu bremsen. Bergmann zeigt die Skurrilität dieser Vermessungs- und Standardisierungswut so überzeugend auf, dass man sich fragt, wie unglaublich simple Tests, die in Blindversuchen oft genug komplett versagten, es schafften, als seriöse wissenschaftliche Methoden anerkannt zu werden. Das eigentlich Fragwürdige aber besteht darin, dass Menschen so auch zu Objekten gemacht werden, die man optimieren und markttauglich zurichten kann. Gewiss schießt Bergmann mit seiner Polemik oft über das Ziel hinaus, ist eine verantwortungsvolle Psychotherapie doch zweifellos vielen Menschen in schweren Krisen eine wertvolle Hilfe. Die Kritik, dass eine rein psychologische Begründung für psychische Störungen, die diese ausschließlich auf individuelle Traumata zurückführt, den sozialen Faktor ausblendet und damit gesellschaftliche Veränderung verhindert, ist freilich nicht von der Hand zu weisen. Schon die Sozialpsychologin Sophie Freud hat bei allem Respekt für ihren Großvater kundgetan, dass sie es nicht für zielführend hält, monate- oder jahrelang auf einer Couch zu liegen und über sich zu sprechen. "Der Tanz ums Ich" wird sicher auf empörten Widerspruch stoßen, für jene aber, die auf so manche Floskel wie zum Beispiel "Wie fühlt sich das für dich an?" allergisch sind und die auch "nicht abgeholt" werden wollen, wo sie gerade sind, für jene wird dieses Buch ein Labsal sein.