Rutkas Tagebuch Aufzeichnungen eines polnischen Mädchens aus dem Ghetto
Rutka Laskier. Aus dem Poln. von Friedrich Griese. Mit einer Einl. von Zahava (Laskier) Scherz und einem Nachw. von Mirjam Pressler
- 1. Aufl.
- 144 S. zahlr. Ill. 22 cm
Quelle: www.rezensionen.at - Daniela A. Frickel
Annotation: Das autobiographische Dokument einer Vierzehnjährigen, die Erlebnisse und Eindrücke aus ihren letzten Lebensmonaten im Jahr 1943 in einem polnischen Ghetto aufzeichnete.
Rezension: Nicht nur die Zeit des Nationalsozialismus, auch Sonntagsreden und Schlussstrichdebatten liegen Jahre zurück - aber der durch das faschistische Regime initiierte Völkermord an den Juden schreibt weiter seine Geschichten. Zahlreiche Jugendbücher thematisieren den Holocaust - literarische Fiktionen neben autobiographischen Dokumenten - um das Unvorstellbare zu vermitteln: Eindrücke von Diktatur und Massenmord. Ist dem noch etwas hinzuzufügen? "Rutkas Tagebuch" lässt zumindest erahnen, dass viele Bücher dieser Zeit noch nicht aufgeschlagen, viele Geschichten noch unerzählt sind. Die Entdeckung dieses Tagebuchs ist eine Geschichte für sich: Zahava (Laskier) Scherz erfuhr von der Existenz einer Halbschwester erst 1963 im Alter von vierzehn Jahren: Auf alten Familienfotos entdeckte sie ein Mädchen, das ihr ähnlich sah: Rutka, die Tochter aus der ersten Ehe ihres Vaters. Aber erst über 40 Jahre später erhält sie zu diesen Fotos auch ein autobiographisches Dokument des Seelenlebens der Halbschwester: ein schön beschriebenes Schulheft, entstanden in der ersten Hälfte des Jahres 1943, verfasst in dem offenen Ghetto von Bedzin (Schlesien), in der die Vierzehnjährige mit ihrer Familie ihre letzten Lebensmonate verbringt. Was dieses Tagebuch neben dem literarischen Bewusstsein der Verfasserin ausmacht, ist die Engführung zweier Themen: Adoleszenz und Bedrohung: "Haha, hier kann man verrückt werden, wenn man sich das alles bewusst macht." Zwischen den Zeilen scheinen kaum Sentimentalität, kaum Hoffnung durch: die extravagante Rutka stellt sich der grausamen Realität mit einem für eine lebenshungrige Vierzehnjährige irritierend abgeklärten Realismus, mit dem sie ihr Ende voraussieht. "Rutkas Tagebuch" erweist sich als bestechend authentisches Fragment, das Leserinnen und Lesern jeden Alters ohne stilisiertes Opferpathos anbietet, der Fratze der Vergangenheit, ihrer Gegenwart und Zukunft zu begegnen. - Eine überzeugende Alternative zum "Tagebuch der Anne Frank".