˜Dasœ Wolkenzimmer
Irma Krauß
- 1. Aufl.
- 316 S. 22 cm
Quelle: www.rezensionen.at - Cornelia Gstöttinger
Schritt für Schritt zurück in die Vergangenheit, in ein Nazi-Deutschland und zu einem verfolgten kleinen jüdischen Jungen. (ab 13) (JE)
Veronika wird wie gebannt von dem mittelalterlichen Turm, der die Ebene überragt, angezogen. Keuchend läuft sie die unzähligen Treppen hinauf, will sich hinunterstürzen, alles, ihr Leben und eine enttäuschte Liebesbeziehung, hinter sich lassen. Doch der Sprung in das "helle Garnichts" (S. 8) gelingt nicht, "voller Erdenschwere" (S. 17) bleibt die 18-Jährige an der Turmmauer kleben, wo sie der alte Türmer aufliest und mürrisch einwilligt, das verstörte Mädchen für ein paar Tage im Turm aufzunehmen. Wegweisende Tage in luftiger Höhe, die zeigen, dass eine Neuorientierung, ein Neuanfang möglich ist. Veronikas Anwesenheit rüttelt etwas in dem wortkargen Türmer wach, sie lässt etwas in dem alten Mann erklingen, es brodelt in ihm, Erinnerungen beginnen an die Oberfläche zu drängen. Behutsam tastet sich Veronika an den zurückhaltenden Amerikaner, der sich nicht fassen lässt, sich jeglicher Nähe entzieht, heran und nimmt schließlich seine tragische Lebensgeschichte mit auf den Weg. Krauß erzählt abwechselnd aus dem Blickwinkel des Mädchens und des in selbst gewählter Isolation lebenden Türmers. Dazwischen schiebt sich die Geschichte des 10-jährigen Jascha, eines jüdischen Jungen, der 1942 auf der Flucht vor der SS und dem drohenden Abtransport ins KZ Schutz in dem alten Gemäuer sucht. Drei Jahre wird er sich versteckt halten müssen, er - der in Nazi-Deutschland nicht existieren darf, sich unsichtbar machen muss, um eine Chance auf ein Überleben zu haben. Die einsamen Tage und Nächte unter dem Kirchendach werden vom Warten auf den Bruder, dem einzigen nahen Verwandten, dem die Ausreise nach Amerika gelang, bestimmt. Und wieder ist es ein alter Türmer, der zum wichtigsten Menschen in einer Krisensituation wird. Der Leser ist von der ersten Zeile an mit in diesem archaisch, ja mystisch wirkenden Turm - Seite um Seite dringt er tiefer in dieses mittelalterliche Gebäude ein, das für Veronika und den kleinen Jascha zum Leben rettenden Zufluchtsort wird. Schritt für Schritt gleitet er tiefer in die Vergangenheit, in ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte hinein, wird von dem Erzählten mitgerissen. Die Verschränkung der Zeitebenen ist Krauß ausgesprochen gut gelungen, mit großem psychologischen Feingefühl werden hier Seelenbilder geschildert, mit viel Gespür findet die Autorin Worte für dieses unfassbare Menschenschicksal. Ein besonderes Jugendbuch, das 2007 mit dem Luchs ausgezeichnet wurde und in seiner einfühlsamen Figurenzeichnung und der berührenden Thematik überzeugt. Jugendlichen ab 13 Jahren sehr gerne empfohlen.