Klassenziel
T. A. Wegberg
- Orig.-Ausg.
- 131 S. 19 cm
- Rororo 21624 : rororo Rotfuchs .
- Rororo 21624 : rororo Rotfuchs .
Quelle: www.rezensionen.at - Heidi Lexe
Wenn es vor kurzer Zeit im Kino geheißen hat "We need to talk about Kevin", dann war es das Leben danach, das Regisseurin L. Ramsey mit Hilfe der brillanten Schauspielerin Tilda Swinton verhandelt hat - und damit das Leben als Sühnehandlung. Das "danach" bezieht sich auf einen Amoklauf. Lionel Shriver, von der die Romanvorlage stammt, hat erstmals vom Involviertsein in das Leben eines jugendlichen Amokläufers erzählt: von der Verzweiflung, von Schuldgefühlen und Schuldzuweisungen, von daraus resultierenden Anwerfungen. Jennifer Brown hat dieses Motiv in ihrem eindringlichen Jugendroman "Die Hassliste" aufgenommen und nun ist es T. A. Wegberg, der das Davor und Danach ineinander gleiten und den Bruder des Amokläufers erzählen lässt. Der Roman setzt ein mit dem Versuch eines Neubeginns: Benjamin, 15, ist mit seinem Vater aus Viersen in Nordrhein-Westfalen an den Rand von Berlin gezogen. Er legt in seiner neuen Schule großen Wert darauf, diesen Herkunftsort geheim zu halten, denn: "Viersen kennt inzwischen die halbe Welt." Doch Viersen ist nicht nur eine Chiffre für Erfurt; an dem Wort haftet für Benjamin der Makel, den Täter nicht nur gekannt, sondern mit ihm Tag für Tag zusammengelebt zu haben. Je Kapitel folgen kurze Passagen aus der Zeit vor und nach dem Amoklauf in Viersen auf Passagen des neuen Lebens in Berlin. Die Passagen sind je nach Bedarf zeitlich gerafft oder gedehnt und verlaufen zueinander zeitverschoben, in sich jedoch chronologisch. Benjamin ist Ich-Erzähler, schildert die Ereignisse in Berlin im Präsens (und geriert sich dabei ebenso schnoddrig wie testosterongesteuert) und jene in Viersen im auktorialen Gestus rückblickend und kommentierend. Aufgefangen wird Benjamin in Berlin von einer musikaffinen, skurril inszenierten Kuschel-Clique, die in ihrer Extravaganz immer offensichtlicher als Gegenprogramm zu Nick positioniert wird - dem sich abkapselnden Einzelgänger, der weder die Klassen- noch die Lebensziele erreicht und zunehmend aus dem Familienverband herausfällt, ohne dass es jemand bemerkt. Genau darin jedoch liegt die Schwäche des Romans: Aus der Exaltiertheit des Jetzt und der emotionalen Leere des immer noch präsenten Damals wird kein rechtes Ganzes.