Höller, Hans 1947-

Ingeborg Bachmann dargest. von Hans Höller - Orig.-Ausg., 5. Aufl. - 186 S. Ill., Kt. 19 cm - Rororo 50545 : rororo-Monographie . - Rororo 50545 : rororo-Monographie .

Bibliogr. und Werkverz. S. 181 - 185

Quelle: www.rezensionen.at - Joachim Hoell

Wem gehört Ingeborg Bachmann? / Zwei grundlegende Werke von Weigel und Höller

Zeitgleich haben zwei namhafte Bachmann-Interpreten Gesamtdarstellungen über die vor fünfundzwanzig Jahren verstorbene Autorin publiziert, Hans Höller mit einer Monographie in der Rowohltreihe, Sigrid Weigel mit einem voluminösen Band bei Zsolnay. Beide Autoren sind bereits mit einer Vielzahl an Texten zu Bachmann hervorgetreten: Höller mit der ersten großen Studie zum Werk im Jahre 1987, einigen Sammelbänden und Aufsätzen und kürzlich mit der Edition der »Letzten, unveröffentlichten Gedichte«, Weigel führt ihre verstreuten Texte zu Spuren von Benjamin, Celan und zur Kritischen Theorie in Bachmanns Werk erstmals geschlossen zusammen. Daß sich Weigels Buch unbescheiden als erste Gesamtdarstellung ankündigt, läßt jedoch hellhörig werden, nachdem derselbe Verlag zu Jahresbeginn bereits mit großem Aufwand die Fallhöhe von Alfred Pfabigans Bernhard-Buch nach oben schraubte. Solche Marktstrategien scheinen Bachmanns desillusionierte Feststellung zu bestätigen, daß das Literatur- dem Waffengeschäft gleiche, denn Profilierung setzt offenbar wissenschaftliches Fairplay außer Kraft. Das Forschungsterrain will eben gesichert sein, wobei sich die formal und thematisch konträren Ansätze des in Salzburg lehrenden Höller und der in Zürich wirkenden Weigel eigentlich im vorhinein ausschließen müßten. Doch Weigel kritisiert explizit Höller als »herausragenden Vertreter einer verbreiteten Lesart, die den Ursprung ihres gesamten Werks in einem Jugendtrauma sehen möchte«, und unterstellt ihm andere interpretatorische »Schieflagen«. Da Weigel sich prinzipiell gegen biographische Interpretationen wendet, attackiert sie zudem Höllers ureigenen Ansatz, die enge Verflechtung von individueller und kollektiver Geschichte kenntlich zu machen, wie eben in seinen Texten zu Bachmann oder auch in der hervorragenden Monographie über Thomas Bernhard. Daß biographische Vereinnahmungen schon genügend Unheil in der Bachmann-Forschung angerichtet haben, weiß Höller allerdings genauso gut wie Weigel, doch fallen die Antworten unterschiedlich aus.
Weigel versucht die Quadratur des Kreises: Im Untertitel weist sie darauf hin, daß es sich um »Hinterlassenschaft unter Wahrung des Briefgeheimnisses« handle – eine Paraphrase auf die Aussage des Ich in Malina –, um den geistigen Prozeß von Bachmanns Werkgenese verstehen zu können, ohne jedoch ihre Privatgeschichte anzutasten. Doch um lebensgeschichtliche Verweise kommt auch Weigel nicht herum, wenn sie ausgiebig unveröffentlichte Briefwechsel zitiert und anderes Insiderwissen preisgibt. Daß sich zum Beispiel ein Widmungsexemplar »Für Ingeborg – Paul« von Rimbauds Bateau Ivre in der Übersetzung Celans in Bachmanns Bibliothek findet und damit die Anspielung in Bachmanns letzter Erzählung Drei Wege zum See auf den langjährigen Freund und dessen Tod in Paris kenntlich wird, ist ein nützlicher Hinweis Weigels, der jedoch auch zeigt, wie wenig sich Bachmanns Schreiben von ihrem Leben trennen läßt. Ebenso ist ihre Vermutung, daß die in derselben Erzählung erfahrene Todesnachricht eines guten Freundes der Protagonistin auf Peter Szondis Freitod hinweist, nützlich – und biographisch. Die persönlichen Erlebnisse der Autorin haben auf komplexe und chiffrierte Weise Eingang in ihr Werk gefunden und werden wohl nie restlos aufgeklärt werden. Weigel selbst verdankt solchen privaten Banalitäten die Idee zum vorliegenden Buch, denn ein von Szondi für Gershom Scholem angekündigter Parmesankäse, den Bachmann in Rom gekauft habe, habe nämlich erst ihre Recherchen zu Bachmanns Verbindungen mit Adorno, Benjamin und Scholem ausgelöst. Ist der Käse biographisch oder gar das Biographische Käse?
Dann kommt das Wort der Philosophie. Weigel zieht in systematischen Abschnitten, nicht in chronologischen, Bachmanns intensive Auseinandersetzung mit Philosophen aus dem weiteren Umfeld der Kritischen Theorie nach. Das Lebensgeschichtliche tritt dabei soweit in den Hintergrund, daß Bachmann als Homunkulus und Automat einer strengen Wissenschaft völlig hinter ihren Texten zu verschwinden droht. Diese klinisch-aseptische Positionierung Bachmanns im Kreißsaal der Frankfurter Schule gebiert gleichwohl eine Fülle interessanter Einsichten, vor allem, wenn diese vermeintlichen philosophischen Einflüsse auf die poeta docta in den Hintergrund geraten. (Wäre es nicht interessanter gewesen zu erfahren, daß Bachmann nicht mit den linksintellektuellen Spitzen der Nachkriegszeit in Verbindung gestanden wäre, sondern ihren eigenen Weg gegangen ist?) Weigel leistet eine intensive Lektüre des gesamten Werkes und zeigt dabei die Entwicklungslinien von den frühen Schriften bis zu den Todesarten, die komplexe Verflechtung wiederkehrender Motive und Themen, in dem das Werk wahrlich zu der von Bachmann geplanten Comédie humaine wird. Weigels Buch lädt zu interessanten Entdeckungsfahrten durch ein immer noch ungenügend entschlüsseltes Œuvre ein und stellt vorerst die umfassendste Darstellung zu Bachmann dar.

Hans Höller fällt es anscheinend leicht, Leben und Werk eines Schriftstellers zu verknüpfen, wie es die Vorgabe der Monographienreihe will, denn er kann seine bisherigen Interpretationen zu Bachmann fortführen, muß nur ein wenig das Gewicht verlagern. Ihm gelingt dabei in einer diskreten und sensiblen Annäherung das schwierige Wechselspiel von Nähe und Ferne, in der auch schwer Verständliches nachvollziehbar wird. Als Bachmanns Urtrauma galt lange Zeit der Einmarsch von Hitlers Truppen in Klagenfurt, als Zertrümmerung ihrer Kindheit und Keimzelle der Aufarbeitung von individueller Ohnmacht angesichts einer grauenhaften Geschichte. Daß die Zwölfjährige sich am besagten Tage gar nicht in der Stadt aufhielt, ist jüngst durch die Familie bekannt geworden und hat »das Aufkommen der ersten Todesangst« als zwanghaften Wunsch der Vereinigung mit den Opfern aussehen lassen. Höller glaubt jedoch an die Kraft dieser Urszene in Bachmanns Leben und weist darauf hin, daß der »Anschluß« wochenlang gefeiert wurde und Hitler selbst erst später in Klagenfurt einzog. Er begnügt sich nicht mit strenger Faktizität, sondern zeigt gerade in der minuziösen Aufarbeitung von Bachmanns Kindheit, dem soziokulturellen Umfeld und den NS-Verwicklungen des Vaters, wie vielschichtig und ambivalent diese frühen Prägungen und Erschütterungen in ihrem Leben sind. Höllers Deutung dieser Szene weicht damit auch nicht so sehr von Weigels Konklusion ab, daß jene Traumatisierung aus dem wachsenden Wissen um den eigenen Ort in der Geschichte herrührt und stellvertretend zur Sprache gebracht worden ist, denn in Bachmanns Werk wird eine Verdichtung dieses Risses und Bruchs sichtbar, die dann im Traumkapitel in Malina am eindrücklichsten gestaltet ist. Höller belegt an den ersten literarischen Versuchen ihr unreflektiertes Verständnis gegenüber Kärnten und seiner reaktionären Heimatideologie – ein Widerspruch, den sie nie völlig auflösen wird – und betont somit auch den moralischen Reifeprozeß der werdenden Schriftstellerin. Das große Verdienst von Höllers Buch liegt in dem einfühlsamen Nachvollziehen ihres Lebens und deren Transformationen in Literatur, womit er belegt, wie eng Privates und Philosophie in dieser Künstlerexistenz zusammenliegen.
Die gemeinsame Zeit mit Henze in Italien, in der die Autorin ihre spätere Wahlheimat aufhörte zu idealisieren, die Lebenskrise in Berlin Anfang der sechziger Jahre, die befreienden Prag- und Ägyptenreisen, der erneute Entschluß, wieder in Rom zu leben, und die letzten zehn Jahre im Bannkreis der Todesarten werden zu einer Abfolge von wechselnden Orten und Namen, so wie sie die rastlose Autorin erlebte und es auch in ihrem Werk seinen Niederschlag gefunden hat. Die Darstellung der sechziger und siebziger Jahre fällt leider ein wenig knapp aus, man wünschte sich, dem Autor hätte mehr Platz zur Verfügung gestanden, auch um das Verhältnis zu Celan und Frisch noch genauer auszuleuchten, biographisch und literarisch wohl die wichtigsten Zäsuren für Bachmann, über die zwar schon viel geschrieben wurde, aber über die man gerne noch mehr erfahren hätte. Doch wird letzten Endes gerade die konzentrierte und lesbare Form der mit vielen Photos versehenen Biographie zum Standardwerk eines jeden Bachmann-Interessierten werden, Weigels akademische Tour de force lediglich in Fachkreisen rezipiert werden.
Sigrid Weigels Portrait der intellektuellen Philosophin, die im intensiven Austausch mit den Denkern ihrer Zeit stand, und Hans Höllers Darstellung einer Schriftstellerin, die im Schreiben ihr Leben zu bewältigen versuchte, sind zwei Facetten Ingeborg Bachmanns. Die gegensätzlichen Deutungsversuche enthalten Widersprüche, sogar neue Legenden und Mythen werden gesponnen, doch das Gesamtbild hat durch diese zwei Publikationen deutlich an Schärfe gewonnen. Bestätigt wird die überragende Bedeutung von Bachmanns Œuvre als einem offenem Kunstwerk, das diese heterogenen Deutungen nicht nur verträgt, sondern herausfordert.

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Bachmann, Ingeborg 1926-1973


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Bachmann, Ingeborg

Paul Celan Lyrik Schreibende Frauen Gruppe 47 Max Frisch


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