Berühmt sein ist nichts Marie von Ebner-Eschenbach ; eine Biographie Daniela Strigl
Material type: TextLanguage: German Publisher: Salzburg Wien Residenz Verlag 2016Edition: [1. Aufl.]Description: 439 S. Illustrationen 23 cmContent type:- Text
- ohne Hilfsmittel zu benutzen
- Band
- 9783701733408
- 3701733406
- Ebner-Eschenbach, Marie von 1830-1916
- Ebner-Eschenbach, Marie von
- Schriftstellerin, österreichische
- (Produktform)Hardback
- (Produktform (spezifisch))With dust jacket
- Antisemitismus
- Berühmte Österreicherin
- Biografie
- Dramatikerin
- Emanzipation
- Schriftstellerin
- (VLB-WN)1951: Hardcover, Softcover / Sachbücher/Kunst, Literatur/Biographien, Autobiographien
- Ebner-Eschenbach, Marie von 1830-1916
- 833.8 22/ger
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Bücher | Schulbibliothek BSZ Mistelbach ZSB | Sachliteratur | PL.MB STR (Browse shelf(Opens below)) | Available | 10128336 |
Quelle: www.rezensionen.at - Roland Innerhofer
Die große, unbekannte Marie von Ebner-Eschenbach
Daniela Strigls schillernde Biographie
Marie von Ebner-Eschenbach, geboren 1830 im Schloss des mährischen Dorfes Zdislawitz/Zdislavice, gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern des 19. Jahrhunderts. Das erkannte schon der Wiener Germanist Jakob Minor, der 1900 dafür sorgte, dass die Autorin als erste Frau das Ehrendoktorat der Universität Wien erhielt. Bis heute setzte und setzt sich die Literaturwissenschaft, nicht zuletzt die mährisch-tschechische Germanistik, intensiv mit ihrem Werk auseinander. Trotzdem nimmt vorliegende, hundert Jahre nach Ebners Tod erschienene Studie unter den Ebner-Eschenbach-Monographien eine herausragende Stellung ein, denn sie ist zuverlässig, präzise und detailliert, stützt sich auf reichhaltiges, veröffentlichtes und unveröffentlichtes Material, ist aber zugleich außergewöhnlich gut und spannend zu lesen. Daniela Strigl gehört zu den ganz seltenen Beispielen einer Personalunion von literaturwissenschaftlicher und literaturkritischer Kompetenz auf höchstem Niveau. Und anders als viele Vertreter beider Disziplinen zeichnet sie sich durch eine sprachliche Stilsicherheit und Eleganz aus, die ihresgleichen suchen. Als Mitherausgeberin (zusammen mit Evelyne Polt-Heinzl und Ulrike Tanzer) der vierbändigen, mit instruktiven Einleitungen versehenen Ebner-Eschenbach-Ausgabe im Residenz-Verlag gehört Strigl zu den intimsten Kennern ihrer Texte – eine ideale Voraussetzung, um das Spannungsfeld zwischen Leben und Werk in ihrer Biographie auszumessen.
Diese beginnt nicht ab ovo, sondern mit einem Prolog, der Ebner am Höhepunkt ihres Ruhmes vorführt, als Kaiser Franz Joseph I. 1899 die Autorin empfängt und ihr das Ehrenzeichen »Pro litteris et artibus« überreicht. Der Weg, der sie dorthin führte, wird keineswegs als widerstandsloser und geradliniger rekonstruiert. Die Qualität vorliegender Biographie zeigt sich besonders deutlich im Vergleich zu den beiden Lebensbeschreibungen, die Anton Bettelheim 1900 und 1920 auf der Grundlage von sorgfältig ausgewählten Tagebuchaufzeichnungen, Briefen und Auskünften Ebners verfasste. Sie entwerfen das Bild einer bescheidenen, einfühlsamen, gütigen, von humanistischen Idealen durchdrungenen Persönlichkeit. Auf Strigls Biographie trifft dagegen zu, was sie zu Ebner-Eschenbachs autobiographischer Schrift Meine Kinderjahre (1906) bemerkt: Sie verweigere das »kanonische Modell der Schriftstellerautobiographie als Verfolgung einer aufsteigenden Linie«. Sie verfährt zwar chronologisch, hütet sich aber davor, die Bruchstellen zu glätten und die Widersprüche vorschnell einzuebnen. So zeigt Strigl etwa, wie die 84-Jährige bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs zwischen Friedensliebe und Patriotismus, zwischen dem Abscheu gegen die Gräuel des Krieges und der Loyalität zu ihrem Monarchen hin- und hergerissen ist.
Am anderen Ende dieses Lebens steht das traumatische Erlebnis des fünfjährigen Mädchens, das von ihrem Vater gemaßregelt wird, weil es noch nicht lesen kann, und das Ebner-Eschenbachs Darstellung in Meine Kinderjahre zufolge am Anfang ihrer Schreibbiographie stand. In der Wiedergabe von Georg Groddecks freudianischer Auslegung dieser Geburtsstunde zeigt sich Strigls Fähigkeit, eine mögliche Interpretation zugleich konzise, treffend und distanziert vorzuführen: »Freudianisch gedeutet symbolisiert das Schreiben den Geschlechtsakt: Die Feder steht für das männliche Glied, das Papier für die Frau, die Tinte für den Samen, der sich im heftigen Auf und Ab der Feder auf das Papier ergießt. Das schreibende Mädchen an sich maßt sich eine Macht an, die ihr nicht zusteht.« Die im Ganzen sparsam eingesetzte psychoanalytische Deutung dient erklärtermaßen auch als Korrektur der von Ebner selbst betriebenen und durchaus der zeitgenössischen Moral entsprechenden »Stilisierung zum geschlechtslosen Wesen«, die Strigl »angesichts des brodelnden sexuellen Untergrunds in ihrer Literatur« in Frage stellt.
Entgegen einer harmonisierenden Rezeption weist sie auf Ebner-Eschenbachs Misserfolge hin, beispielsweise das Scheitern als Dramatikerin oder die enttäuschte Hoffnung auf den Nobelpreis, ebenso wie auf die zermürbenden privaten und öffentlichen Widerstände, denen die Autorin begegnete. Wie von Familienmitgliedern ein Lebensweg als Schriftstellerin verächtlich betrachtet wurde, so scheinen viele missgünstige Kritiken ihrer Erzählungen hauptsächlich darauf zurückzuführen zu sein, dass weibliches Schreiben noch zutiefst verpönt war. Auf Widersprüche verweist die Verfasserin auch im Literarischen: So bezeichnet ihr auf die Erzählung Božena (1876) gemünzter Begriff des »märchenhaften Realismus« die Diskrepanz zwischen sozialkritischer Wirklichkeitsnähe und mythisch-utopischer Phantasie. Das Ergebnis ist das schillernde, aber keineswegs auratische Portrait einer Person, deren aristokratische Lebensumstände dem Leser und der Leserin einsichtig gemacht werden, ohne aber die Distanz, die uns von dieser Welt trennt, durch eine falsche Kumpanei oder Familiarisierung zu überspringen. Die Sympathie, die die Verfasserin Ebner-Eschenbach und ihrem »empathischen Realismus« entgegenbringt, verleitet sie an keiner Stelle zur Apologie oder Apotheose: »Eine Heilige war sie freilich nicht: So groß ihre Toleranz gegen sozial auffällige, kapriziöse, egozentrische und geschwätzige Zeitgenossinnen und -genossen auch war, so reagierte sie doch allergisch auf Dummheit und Überheblichkeit […].« Auffallend ist, wie oft Ebner-Eschenbach in ihren Tagebüchern den Wunsch äußert, jemanden »durchzuprügeln«. Über den Germanisten Erich Schmidt urteilt sie: »Er sprach sehr viel, sagte aber nichts das man sich gerade zu merken brauchte.«
Das genaue Gegenteil trifft auf vorliegendes Buch zu. Es formuliert knapp und schnörkellos, worauf es ankommt, sodass die Leserin und der Leser es nicht zu spüren bekommen, wie viel Arbeit es gekostet hat. Überzeugend zeigt die Verfasserin etwa Ebner-Eschenbachs Kampf gegen den Antisemitismus, der sie im Alter sogar dazu führte, Schnitzlers Professor Bernhardi (1912) trotz ihrer Aversion gegen diesen Autor als verdienstvoll zu würdigen. Neben der Person werden in dieser behutsamen und gewissenhaften, an konkreten und gut recherchierten Einzelheiten reichen Studie en passant auch die historischen und kulturellen Zusammenhänge, in die dieses Leben eingebettet war, plastisch sichtbar. So bietet Daniela Strigls Buch ein ungeheuer lebendiges und aktuelles Porträt einer faszinierenden Schriftstellerpersönlichkeit und zugleich ein Panorama der wechselvollen franzisko-josephinischen Ära, in der Marie von Ebner-Eschenbach verwurzelt war, deren Begrenzungen ihr Werk aber sprengt.
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