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520 | 1 | _aQuelle: www.rezensionen.at - Cornelius Hell Die Arbeit der Erinnerung Ivan Ivanjis autobiografischer Roman "Mein schönes Leben in der Hölle" Hat mich mein eigener Onkel an die Nazis ausgeliefert?" Dieser erste Satz vibriert im gesamten jüngsten Buch von Ivan Ivanji, denn der Autor vermag diese Frage nicht einmal nach einer späten Begegnung mit dem Sohn dieses nach Australien emigrierten Onkels zu beantworten. Er kann, wie auch bei anderen zentralen Ereignissen seines Lebens, nur Variationen entwerfen, wie es gewesen sein könnte. Besonders schmerzlich ist das beim Suizid des Großvaters, der aus klarer Erkenntnis von dem, was Juden auch im Königreich Jugoslawien nach dem Einmarsch der Deutschen zu erwarten hatten, auch seine Frau, die Großmutter, mitnahm in den Tod. Und Ivan Ivanji fragt sich, ob er, der Arzt, ihn und seine Geschwister nur deshalb am Leben ließ, weil sie ihm nicht nahe genug waren oder weil er ihnen das Überleben zutraute. Auch an den eigenen Schreibprozess stellt Ivanji immer wieder Fragen, etwa wenn er auf dem Platz in Novi Sad steht, von wo die ersten Lastwagen der SS abfuhren, in denen die Abgase ins Wageninnere geleitet wurden. Ivanji notiert: "In einem von ihnen hat meine Mama ihr Leben ausgeröchelt. Warum muss ich das immer wieder wiederholen? Versuche ich, sie damit wieder ins Leben zurückzurufen, oder lasse ich sie nur wieder, immer wieder, immer wieder ersticken?" Ist das Buch eine Autobiografie oder ein Roman? Zunächst hat man über weite Strecke den Verdacht, der Verlag habe ihm nur aus kommerziellen Gründen den Untertitel "Roman" verpasst, denn Ivanji erzählt ja aus dem "wirklichen" Leben; und an nicht wenigen Stellen zeigt er, was er für seine Romane erfunden und wo er selbst Erlebtes hat einfließen lassen. Für den Leser des Werkes von Ivanji ist der Einblick in dieses Ineinander von Fiktion und autobiografischen Elementen sehr interessant, und wie in vielen vergleichbaren Fällen stellt sich heraus, dass gerade sehr wahrscheinlich und plausibel wirkende Ereignisse erfunden sind, während sich die unwahrscheinlichsten und absurdesten wirklich zugetragen haben. Vieles spricht dafür, Ivanjis neues Buch als Autobiografie zu sehen: Er reflektiert über das eigene Leben, er thematisiert seine Erinnerung und gibt Einblicke in das Glück und die Beschwernisse eines 85-jährigen Mannes, die gerade in ihrer schlichten Präzision beeindrucken. Schon in der Thematisierung der Erinnerung, der Basis jeden autobiografischen Scheibens, erweist sich Ivan Ivanji freilich als großer Erzähler. Das Schreiben des Buches führt er als Komposition von unzähligen verschiedenen Mosaiksteinchen vor, und indem er immer wieder auf dieses Bild rekurriert, hält er den Erinnerungs- und Erzählvorgang präsent und tut nie so, als würde er einfach aufschreiben, wie es gewesen ist. Und wie in seinen Romanen, vor allem dem großartigen Schattenspringen, macht er nicht nur den Zweifel an der eigenen Erinnerung erzählerisch produktiv, sondern führt auch den begrenzten Wert von Dokumenten vor, wenn es um die Rekonstruktion realen Geschehens geht. Einmal bezeichnet Ivanji das, was er in diesem Buch schreibt, treffend als "Gedankenstücke". An anderer Stelle reflektiert er: "Vor wem lege ich diese Beichte ab, ich, der an keinen Herrgott glaubt? Vor mir selbst und dem, der sie hören will. Oder sagen wir vorsichtig: Es ist doch ein Roman." Ja, der Autor arbeitet auch in diesem Buch - wenn auch weniger als in seinen anderen Romanen - mit Fiktion; anders kann er seine Erinnerung nicht arbeiten lassen, kann er sich nicht annähern an das, was im sogenannten "wirklichen" Leben geschehen ist. Man muss nur den Satz ernstnehmen, der in Kursivschrift dem Buch vorangestellt ist, dann weiß man, dass dieses Buch nicht naiv auf das Modell "Autobiografie" vertraut. Der Satz lautet: "Nicht alles, was in der ersten Person aufgeschrieben ist, berichtet von mir; nicht alles in dritter Person betrifft andere." Es ist diese Erzählweise, die Ivan Ivanjis autobiografischen Roman Mein schönes Leben in der Hölle so einzigartig macht. Und auch, dass er sein Lebenspanorama nicht auf "seine" Konzentrationslager konzentriert, obwohl er sie gerade dadurch als lebensbestimmend erscheinen lässt, dass er betont sagt: "in meinen (ja, doch, in meinen) Konzentrationslagern". Aber er fokussiert nicht so sehr das eigene Überleben, wie er immer wieder die Eltern und Großeltern ins Bild rückt, die nicht überlebt haben. Und er reflektiert sein ganzes Leben als Schriftsteller, als Mitglied der Kommunistischen Partei Jugoslawiens, als Titos Dolmetscher (darüber hat er ein eigenes Buch geschrieben), als Diplomat, als Serbe in Wien und als Jude. Mit Letzterem hat er seine besonderen Probleme, denn er ist ein Individuum, ein Einzelgänger. Jude ist er nur, weil er als solcher im KZ war. Ivan Ivanji hat gerade als Jude eine hellsichtige Distanz zu Israel. Als er einmal dort war, wurde er am Strand als Jude diagnostiziert. Auf die Frage, ob auch seine Frau Jüdin sei, antwortete der Diagnostiker: "Leider nein." Wegen dieses "leider" wollte Ivanji Israel nicht mehr besuchen. Mein schönes Leben in der Hölle ist auch ein Abschieds-Buch. Ivanji schreibt: "Ich suche den Abschied nicht von anderen, sondern von mir selber. Wenn ich die richtige Formel finde, mache ich Schluss. Diesen endgültigen Ausdruck für das Ende suche ich aufrichtig. Aber mir fällt jeden Tag etwas Neues ein." Der Schriftsteller Ivan Ivanji hat noch viele Romane im Kopf, die aus dem gewaltigen Stoff seines Lebens herauswachsen könnten, er skizziert ihre Ansätze, aber er weiß, dass er sie nicht mehr schreiben kann. Und er fragt sich, wenn er an seinen Großvater denkt, wie sich seine Enkelkinder einmal an ihn erinnern werden. Er notiert lapidar: "Die Aufgabe, die noch übrig geblieben ist, ist zu sterben, und das werde ich sicher bewältigen. Das ist noch jedem gelungen." Und trotzdem lautet das Ende des Romans: "Ende. Ende? Kein Ende…" Der Lebenswille und das kleine Glück haben das letzte Wort. Und die ungebrochene Neugier. Darum folgt man diesem Buch bis zum Schluss gebannt, fasziniert, erschreckt und mit dem Autor nachdenkend. "Im Konzentrationslager habe ich immer gut geschlafen" - das ist einer der Sätze daraus, die man bestimmt nicht vergisst. Immer wieder reflektiert Ivanji auch darüber, wie über den Holocaust überhaupt gesprochen werden kann. Gegen alle bereitstehenden Ausweich-Vokabeln hält er fest: Die Menschen wurden ermordet. Und über das Schicksal seiner Familie schreibt er: "Insgesamt sind wir, die Überlebenden meiner Sippe, für eine jüdische Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien eigentlich sehr gut davongekommen. Darf man das so sagen? Ich darf es, aber wehe allen anderen, die es versuchen sollten." Ivan Ivanji ist weder altersmild-versöhnlich, noch bestimmen Zorn und Rache-Gedanken seinen Blick; sondern die immer wieder aufblitzende Ironie. Ein präziser Beobachter und genauer Denker hat in diesem autobiografischen Roman eine spezifische Erzählweise und eine adäquate Sprache gefunden. | |
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