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500 _aLiteraturverz. S. 380 - 395
520 1 _aQuelle: www.rezensionen.at - Klemens Renoldner Drei private Leben Zwei neue Bücher zur Biographie Stefan Zweigs Mir graut nur vor der Öffentlichkeit, täglich mit neuen Bildern in allen Zeitungen zu sein", schreibt Stefan Zweig am 25. August 1936 aus Brasilien an seiner Frau Friderike. Per Schiff reist er zum PEN-Kongreß nach Buenos Aires, macht vorher in Brasilien Station, wo er von einem offiziellen Termin zum nächsten herumgereicht wird. "Ich bin ja hier eine Art Charlie Chaplin" oder "ich bin eben 6 Tage Marlene Dietrich gewesen", so schildert Zweig seine Rolle. Und da lesen wir den Satz: "Brasilien ist unglaublich, ich könnte heulen, wie ein Schlosshund, dass ich hier weg soll." Stefan Zweig ist 54 Jahre alt, und eigentlich hasst er das öffentliche Herumgockeln. Aber manchmal muss es eben sein. Noch sechs Jahre werden vergehen, bevor Brasilien, genauer gesagt die Kleinstadt Petropolis in den Bergen oberhalb von Rio gelegen, zum Endpunkt seines Lebens wird, ein Ort, von dem er nicht mehr weg will. Im Februar 1942, im Alter von 60 Jahren, nimmt sich der weltberühmte Schriftsteller gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lotte in einem höchst privaten Winkel dieser Welt das Leben. Allein die acht Jahre des Exils, angefangen beim Abschied aus Salzburg im Jahr 1934, danach London, Bath, New York, Ossining und New Haven, die Reisen und Begegnungen, all die Nöte dieser Jahre sowie die letzten Lebensumstände in Brasilien bieten so vielfältigen Stoff, dass man als Biograph unschwer von dieser Materie fasziniert sein wird. Gewiss mag man auch die ersten fünfzig meist strahlenden Jahre, zumal wenn unbekanntes Material zur Verfügung steht, aufs Neue erzählen. Dabei muss man natürlich ertragen, dass einem bei der Arbeit die Zweig-Biographie von Donald A. Prater (1972/1981) unentwegt gewissermaßen über die Schulter schaut. Der 35jährige deutsche Publizist und Dokumentarfilmautor Oliver Matuschek wagt nun einen neuen Versuch. Er erzählt das Leben Stefan Zweigs stringent und gut lesbar, sein Buch ist plausibel gegliedert und bietet uns eine seriöse und intelligente Zusammenfassung der Fakten an. Matuschek hat keine extravagante Arbeitshypothese, um Zweig aus einem eigenwilligen Blickwinkel irgendwie neu zu zeigen. Aber der Autor hat gründlichst recherchiert, einiges ungesichtete Material entdeckt, er schöpft aus dem Vollen, er sammelt und ordnet, nüchtern und exakt. So sehr diese Diskretion zu begrüßen ist, so tut sich doch die Frage auf, inwieweit sich eine Biographie nicht auch um die kommentierende Auswertung und Einschätzung der lebensgeschichtlichen Fakten bemühen soll. Da bleibt uns der neue Band dann doch einiges schuldig. Dabei hat Matuschek durchaus seine besonderen Vorlieben, und daraus folgen die Stärken seines Buches. Er interessiert sich vor allem für die (auch kleinen) Umstände des privaten Lebens. Familiengeschichte, schriftstellerische Behauptung und die erste Ehe rücken dadurch in den Vordergrund der Betrachtung, was wohl auch im Studium von bisher unbekanntem Briefmaterial begründet liegt, vor allem der Briefe von Stefan Zweigs Bruder Alfred (1879-1977). Was die Einzelheiten der persönlichen Lebensgeschichte betrifft, hat Matuschek durchaus Ergänzungen zu bieten, viele Details, die zuvor nicht bekannt waren. Alltagswirklichkeit des Autors, Eheleben und Ehekrisen, Umstände diverser persönliche Freundschaften sowie Nöte in Personal-, Geschäfts- bzw. Verlagsangelegenheiten werden in diesem Buch sehr plausibel dargestellt. Wenn Zweig z. B. in Zürich wochenlang in keiner Buchhandlung seine Bücher finden kann und darüber eine wutentbrannte Korrespondenz mit seinem Verlag in Leipzig eröffnet, dann lässt uns der Biograph tief in seine Mappe sehen. Und natürlich weiß Matuschek gar alles und noch mehr über den Autographensammler Stefan Zweig, wie schon seiner akribisch zusammengetragenen Dokumentation "Ich kenne den Zauber der Schrift" (Antiquariat Inlibris, Wien, 2005) zu entnehmen war. Verzweigungen zwischen Werk und Lebensgeschichte folgt der Autor hingegen nur mit knappen Worten, manchmal gibt es ein paar Hinweise, oft aber auch nicht. Das ist schade, denn natürlich hätte man sich auch eine kritische Darstellung bzw. Einschätzung des literarischen Vermächtnisses gewünscht. Aber das ist die Folge eines Verfahrens, das sich in erster Linie an der Korrespondenz des unentwegt Briefe schreibenden Autors bzw. seiner Briefpartner und nicht an Texten und Büchern orientiert. Es lässt sich nicht vermeiden, noch einmal auf Donald A. Praters biographisches Werk "Stefan Zweig - das Leben eines Ungeduldigen" (1981) Bezug zu nehmen. Der frühere Diplomat Prater öffnet uns nämlich in seinem Buch nicht nur das private Leben, das Psychogramm, sondern auch das literarische Werk Zweigs. Prater hat zudem eine Vorliebe, die politischen Umstände zwischen 1914 und 1942 begreiflich zu machen, und so entsteht ein Netz von Bezüglichkeiten, und obendrein ein politisches Profil des vor politischer Profilierung immer flüchtenden Stefan Zweig. Prater spürt auch Beziehungen zu bedeutenden Persönlichkeiten in Zweigs Leben ausführlicher nach. Das Verhältnis von Stefan Zweig zu Sigmund Freud oder zu Romain Rolland, um nur zwei Beispiele zu nennen, wird bei ihm in allen Widersprüchen erörtert. Matuschek fasst hingegegen zusammen und teilt uns mit. In diesem Sinne tönt sein Buch, wenn der Vergleich erlaubt ist, wie ein Streichquartett, während Prater - um im Bilde zu bleiben - bisweilen einen orchestralen Sound, eine unglaubliche Vielstimmigkeit entwickelt. Es wird für den Leser also durchaus ein Gewinn sein, die beiden Bücher nebeneinander zu lesen bzw. sie auch als Ergänzung zueinander zu verstehen. Auf das Zusammensehen bzw. Nebeneinanderlesen von zwei Bänden ist die andere Neuerscheinung, von der hier zu berichten ist, erklärtermaßen angelegt. Denn der neue Band will nicht nur als Korrektur sondern auch als Ergänzung eines früher erschienenen verstanden werden. Friderike Zweig (1882-1971) hat bereits 1951 eine Auswahl aus ihrem Briefwechsel mit Stefan Zweig veröffentlicht. "Unrast der Liebe. Friderike Zweig - Stefan Zweig, ihr Leben und ihre Zeit im Spiegel ihres Briefwechsels" nennt sich der Band, der natürlich nur eine kleine und persönlich kommentierte Auswahl der Korrespondenz beinhaltet. In dieser Publikation unterdrückte Friderike viele ihr problematisch erscheinende Schreiben, vor allem jene aus der Zeit der Trennung. Zu einer Verfälschung führten dabei z. B. jene Eingriffe, mit denen alle Hinweise auf Stefan Zweigs zweite Frau, Lotte Altmann, getilgt wurden. Die Herausgeber des nun veröffentlichten Briefwechsels von Friderike und Stefan Zweig, Jeffrey B. Berlin und Gert Kerschbaumer, setzen in ihrem Buch die kommentierende Brief-Edition nach dem Muster Friderikes fort, aber nun lesen wir zum ersten Mal ungeschönt von der eigenwilligen Rollen verteilung in diesem sehr distanzierten Eheleben am Kapuzinerberg, vom Streit über die Auflösung des Hauses und den Unterhaltsforderungen Friderikes nach der Scheidung. Die Interessenten für die eher intimeren Zonen des Ehe- und Familiendramas kommen hier auf ihre Rechnung. Von den insgesamt 1220 existierenden Briefen, die die Korrespondenz zwischen Friderike und Stefan Zweig umfasst, werden hier jedoch aus Platzgründen etwa nur ein Viertel (!) veröffentlicht. Beide neuen Bücher verbindet übrigens ein gemeinsames Anliegen: Obwohl die Ehe mit Friderike im November 1938 geschieden wurde und Stefan Zweig im September 1939 seine zweite Frau Lotte Altmann geheiratet hatte, betrachtete sich Friderike bis zu Ihrem Tod 1971 als Witwe Stefan Zweigs. 1947 veröffentlichte sie eine in sieben Sprachen übersetzte Biographie "Stefan Zweig, wie ich ihn erlebte". Die von Friderike beabsichtigten Verfälschungen und ihre Folgerungen sind mit den beiden Büchern nun endgültig aus der Welt geschafft. Somit steht den weiteren Forschungen zu Leben und Werk des österreichischen Schriftstellers nichts mehr im Wege.
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